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Die Causa NPD-Schelte durch Bundespräsident Joachim Gauck, der Prozess um die Neutralitätspflicht und seine mediale Nachbereitung bewegt zurzeit die Gemüter, diesseits und jenseits politischer Wagenburgen.

Die Positionen sind voraussehbar: Die einen jubeln über den Präsidenten, ob seiner Zivilcourage gegen rechts. Und die NPD findet das Urteil, das Gauck den Rücken gestärkt hat, und vermutlich die Aussage des Staatsoberhauptes selbst grotesk. Der Hintergrund: Gauck hatte im Zuge der von der NPD unterstützten Proteste gegen Asylbewerberheime reagiert und unter anderem von Spinnern gesprochen. Die Rechtsabteilung der Partei hatte gleich das Potenzial erkannt und Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Denn der Bundespräsident ist das Staatsoberhaupt aller Deutschen und somit nominell zur Neutralität verpflichtet.

Natürlich darf er politische Meinungen äußern. Er darf aber nicht selbst Partei sein oder Partei ergreifen. Dass das Verfassungsgericht die Klage abweisen würde, dürfte in der NPD klar gewesen sein. Bereits auf der kommunalen Ebene versucht die Partei seit Jahren, die Neutralitätspflicht von Landräten oder Bürgermeistern einzuklagen. Entscheidend dabei dürfte nicht das Urteil selbst sein, sondern der damit verbundene Effekt. Die Auseinandersetzungen werden transportiert, die Partei ist im Gespräch und sie lebt vor allem von der Ausgrenzung. Das kann man zwar immer wieder wiederholen. Aber das nehmen vor allem diejenigen nicht zur Kenntnis, die das Phänomen angeblich aus der Welt schaffen wollen, es aber tatsächlich befördern.

Genau kalkuliert

Die Strategiezirkel der Partei dürften das Urteil genüsslich zur Hand nehmen und sich vor allem an der Begründung erfreuen. Dort heißt es: Spinner könne zwar für sich genommen als diffamierend empfunden werden. „Hier indes dient … die Bezeichnung als ›Spinner‹ … als Sammelbegriff für Menschen, die die Geschichte nicht verstanden haben und … rechtsradikale-nationalistische und antidemokratische Überzeugungen vertreten“, erklärte das Gericht. Die NPD wird so eine gewundene Erklärung natürlich zum Anlass nehmen, um auf die Problematik der Gewaltenteilung hinzuweisen. Niemand habe von Richtern, die durch den Parteienproporz zusammengesetzt seien, etwas anderes erwartet. Und nach dem Fall der Fünfprozenthürde für die Europawahl sind ja sogar noch Vorschläge laut geworden, die Richter gleich vom Bundestag wählen zu lassen. Die Pointen für die nächsten Bierzeltreden der Partei sind in Sack und Tüten. Und wenn Menschen, die die Geschichte nicht verstanden haben, Spinner sind, dann dürfte der Spielraum des Bundespräsidenten zukünftig sehr groß sein. Es soll ja auch Politiker geben, die sich nach Mauer und Stacheldraht oder nach „ihrem Deutschland der 60er Jahre“ ohne Menschen aus anderen Kulturen zurücksehnen.

Im Grunde war die Situation bereits verfahren, als der allmählich an Heinrich Lübke erinnernde Präsident ans Mikro gegangen ist. Als hätte es ein Staatsoberhaupt nötig, Sektierer und Spinner beim Namen zu nennen. Er kann und sollte ein Zeichen für Demokratie und Vielfalt setzen. Aber warum um Himmels willen gibt er der NPD Gelegenheit, sich als ungleichbehandelt darzustellen? Oder zeigt Gauck jetzt auch in anderen Parteien Spinner auf? Man wünscht sich in Deutschland inzwischen schon fast lieber eine konstitutionelle Monarchie zurück, das wäre vielleicht besser als Präsidenten, die diesem Job offenbar einfach nicht gewachsen sind. Man denkt bei Gauck an den Hurrapatriotismus in Sachen Kriegseinsätze, seine primadonnenhafte Selbstinszenierung im Vorfeld der Olympischen Winterspiele von Sotschi oder an die peinliche Bevormundung der türkischen Politik. Das klingt auf ungute Weise nach dem alten „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.“

Ohne Politiker wie Gauck gäbe es weniger „Spinner“ wie in der NPD

Was wollte Gauck mit der Spinner-Rede erreichen? Man brauche Bürger, die auf die Straße gingen und „den Spinnern ihre Grenzen aufweisen.“ Braucht man das? Und wie funktioniert das auf der Straße? Im Straßenkampf? Hören die in der Tat politisch falschen Demonstrationen der Rassisten dann auf? Bestimmt nicht. Man braucht vielmehr eine Politik, die die Ursachen von Extremismus beseitigt. Durch gute Politik. Und man braucht Bürger, die sich für diese gute Politik engagieren. Das hieße zum Beispiel, sich wirklich um Integration zu kümmern. Und nicht auf der einen Seite Integration sagen und auf der anderen Seite die Einwanderung für das Lohndumping zu nutzen und die Menschen vor Ort allein zu lassen. In einer freiheitlichen Demokratie sollte man sich sowieso nicht gegen etwas oder jemanden stellen, sondern vor allem für etwas. Alles andere hatten wir lange genug. Joachim Gauck hat die Extreme allerdings bedient, genährt und die Spinnern damit aufgefordert, ihre Grenzen beherzt zu überschreiten. Schade.

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Ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er studierte Deutsch, Geschichte und Politik in Göttingen und war acht Jahre lang Lehrer an einer Waldorfschule. Als Publizist und Politiker arbeitete er viele Jahre im extrem rechten Milieu. Im Juli 2012 stieg er aus dieser Szene aus. Seitdem engagiert sich Molau in Sachen Extremismusprävention bei Seminaren, Vorträgen und in Aufsätzen. Heute ist er selbstständig für das Textbüro dat medienhus tätig.

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