(Anti) Social Media: Wenn Facebook zum Sprachrohr brauner Hetze wird
Im Grunde fing alles ganz klein und harmlos an: Eine kleine, lokale Bürgerinitiative namens „WIN – Wählerinitiative NRW“, die zu den Kommunal- und Integrationsratswahlen in Gelsenkirchen kandidiert, postete ein Kurzprofil einer ihrer Kandidatinnen auf Facebook. Was darauf folgte, war wie ein Schlag ins Gesicht der jungen, attraktiven Deniz Görken, 27 Jahre, vom Beruf „Operations Analyst“, wie in ihrem Kurzprofil nachzulesen ist. Denn „Deniz“ ist, wie an ihrem Namen zu erkennen, türkischer Herkunft. Eine Facebook-Nutzerin ließ sich allerdings von Görkens makellosem Deutsch nicht stören und hielt es für notwendig, zu kommentieren: „Türken wähle ich nicht !!“, und fügte kurz darauf in weniger makellosem Deutsch hinzu: „Mach doch in deinen Land Politik“.
Um wessen Land und vor allem wessen Sprache es sich hier nun wirklich handelt, sei also dahingestellt.
In ihrem Kurzprofil schreibt Deniz Görken weiter: „Die, die sich politisch engagieren, können Fehler machen – ABER das ist trotzdem noch tausendmal besser, als abseits zu sein und zu meckern. Mitwirken!“
Was vonseiten der jungen Kandidatin zum Gelsenkirchener Stadtrat wohl als motivierende Ansprache gedacht war, muss bei der offensichtlich rechtskonservativ gesinnten Kommentatorin als Kampfansage verstanden worden sein. Denn statt sich das Motto „Füreinander statt Nebeneinander“ der Wählerinitiative mal ein wenig zu Herzen zu nehmen, treibt sie die ganze Sache zu einem öffentlichen Spektakel hoch. Miss Rechtsaußen macht sich dabei nicht im Geringsten die Mühe, ihre eigene Haltung zu überdenken und versucht schließlich in einer Weise die Diskussion zu beenden, die den Leser nicht unbedingt davon zu überzeugen vermag, dass die Pflege der Sprache zum identitären Verständnis von Kulturerhalt zählt: „Doch,ich weiß ja das Türken nicht Diskotieren können .Ich breche ab“.
Zum Nachlesen hier ein Teil der Kommentare: (Zum vergrößern Bitte auf das Bild klicken)
und hier das besagte Posting auf Facebook:
„Warum sollte denn eine Mutter, die schlecht deutsch spricht, eine schlechte Mutter sein?
Ein Vater oder Ehemann, der seiner Frau verbietet, deutsch zu lernen, ist ein schlechter Vater und ein schlechter Ehemann. Und hier liegt das Problem begraben.“
Von Merve auf die vorurteilbehaftete Haltung aufmerksam gemacht, schreibt der Facebook-Nutzer weiter:
„Es ist kein Vorurteil, liebe Merve Gül, sondern ein Erfahrungswert, und, mit Verlaub, Sie weichen mir aus.“
Auch andere Facebook-Nutzer schalten sich dazu mit Kommentaren wie:
„Ich denke – bei all den schönen Worten – dass der Deutschkurs und alles was mit dieser Integrationsindustrie zusammenhängt kostenlos ist – das ist das Problem. Wobei – kostenlos stimmt ja nicht – es gibt immer jemanden, der dafür bezahlt. Wir sollten zum holländischen Modell wechseln – da bezahlen die Migranten für ihre Integration.“
Es folgen Vorwürfe gegen Merve:
„Was die „Jura Studentin und Übersetzerin“ Merve unter dem Deckmantel der Mutterliebe verfasst hat, ist nichts als eine Anklageschrift. Und angeklagt werden ausgerechnet Deutschland und jene Gesellschaft, die es dem Migrantenkind ermöglicht haben, sich Freiheit, Bildung und Wohlstand zu sichern.
Ich will nicht groß darauf eingehen, wie traurig es eigentlich ist, dass man die eigene Mutter in einem konstruierten „Dankesschreiben“ dazu missbraucht, seinem pauschalen Hass auf andere Menschen Ausdruck zu verleihen“
„Es gehört wahrlich nicht viel Textverständnis dazu um herauszufinden, dass der „Dank an die Mutter“ nur ein Vorwand ist, um durch die Bank pauschal die Deutschen für mangelnde Integrationsbemühungen an den Pranger zu stellen.“
Merve versucht zwar, schöne abschließende Worte zu finden, indem sie schreibt:
„Ärgert es Sie vllt eher, dass Sie sich nicht weiterhin am Vorurteilsarsenal bedienen können? Ärgert es Sie, dass der Text so deutlich ist, dass Sie ihn nicht in diverse Richtungen ziehen können? Ich muss mich nicht dafür bedanken, dass Deutschland Gott sei Dank eine Leistungsgesellschaft ist und anders als Sie hege ich auch keinen Hass gegen diverse Menschengruppen. Auf eine weitere Diskussion möchte ich mich mit Ihnen auch nicht einlassen. Scheinbar fühlen Sie sich „angeklagt“, was ja wiederum gegen Ihre Person spricht.“
Doch es wäre zu schön, wenn die Diskussion damit beendet wäre.
Was mit einem einfachen Brief einer jungen Frau an ihre aufopferungsbereite Mutter begann, endet hier in einer endlosen Diskussion darüber, wer Schuld hat an Integrationsbarrieren und schlechtes Deutsch sprechenden Migranten – geschmückt mit Ressentiments gegenüber ausländischen Männern, die angeblich ihren Frauen den Zugang zu Deutschkursen verbieten, und der immer wiederkehrenden Frage danach, wer das Ganze eigentlich bezahlt.
Interessant ist bei derartigen Diskussionen immer, dass anscheinend davon ausgegangen wird, Migranten würden in diesem Land keine Steuern zahlen. Zwischen den Kommentaren zum Kurzprofil der kommunalpolitisch aktiven Deniz Görken ist auch hierzu etwas zu finden. Ein türkischstämmiger Herr schreibt hier:
„Das ist doch auch unser Land“
und macht darauf aufmerksam, dass er selbst seit 32 Jahren in Deutschland Steuern zahle, sein Vater 40 Jahre lang gezahlt habe und seine Kinder neuerdings auch zahlen würden.
Was soll eigentlich der ganze Trubel?
Nun werden viele fragen, warum man diesen braunen Mist denn noch weiter verbreitet, statt ihn einfach zu ignorieren.
Was sollen wir denn machen? Still schweigen? Probleme nicht ansprechen? Alle Beschuldigungen über uns ergehen lassen?
Definitiv nicht! Zu diesem Land gehören eben auch wir und unsere Gefühle – und wir haben lang genug zu unseren Gefühlen geschwiegen.
Merve schreibt in ihrer Kolumne in der Huffington Post dazu:
„Danke Mama, dass du mich zu einer selbstbewussten Person erzogen hast, die sich traut, zu sprechen. Sprechen für Leute wie dich, die es einst nicht konnten, sprechen und schreiben für Menschen, damit sie auch einmal eine Stimme bekommen.“
Denn Merve hat das Recht dazu, Kolumnen zu schreiben.
Und Deniz hat das Recht dazu, zum Stadtrat zu kandidieren.
Ich wünsche den beiden jungen Damen und allen engagierten, weltoffenen, interkulturell kompetenten jungen DEUTSCHEN viel Erfolg dabei, gemeinsam an der Zukunft unserer schönen Heimat zu arbeiten.
Und mögen sie weiterhin ihren Erfolg unter die Nasen dieser ewig gestrigen Rechten reiben.
Denn WER und WAS „deutsch“ ist, darüber wird nicht über unserer Köpfe hinweg entschieden. Jeder, der daran arbeitet, unsere Heimat positiv mitzugestalten, gehört dazu.
Und wem DAS nicht gefällt, dem ist es selbst überlassen, eine neue Heimat zu finden. Hoffentlich eine, die auch Sprachkurse für die eigene Landessprache bezahlt.