Wenn Politik Theater ist – und sind wir ehrlich, das ist sie –, dann hat die AfD mit Alice Weidel die perfekte Hauptdarstellerin für ihr eigenes Stück „Deutschland, ein alternatives Trauerspiel“ gefunden. Einstimmig nominiert, soll sie nun im Januar auf dem Parteitag in Riesa auf den Thron des Spitzenkandidatenpostens gehoben werden. Und ja, das ist der Moment, in dem man sich fragt, ob man lachen oder weinen soll – oder vielleicht beides gleichzeitig.
Die AfD und ihre Frauen
Die AfD hat ja ein besonderes Verhältnis zu Frauen: Zwischen „traditioneller Familienrolle“ und „emanzipiertem Sturmgeschütz“ findet sich eine seltsame Schizophrenie, die ihresgleichen sucht. Alice Weidel ist da die personifizierte Paradoxie. Als lesbische Frau in einer Partei, die sich nach einem Deutschland sehnt, in dem „Vater, Mutter, Kind“ noch die einzig akzeptable Familienkonstellation war, spielt sie die Rolle der Ausnahmeerscheinung. Die Botschaft: „Seht her, wir sind gar nicht so rückständig, wir haben auch moderne Frauen.“ Ob das ankommt? Nun ja, in der AfD-Bubble vielleicht. Beim Rest der Gesellschaft? Schwierig.
Strategie oder Verzweiflungstat?
Dass Weidel als Kanzlerkandidatin nominiert wurde, ist keine Überraschung – oder sagen wir, es ist die einzige Wahl, die die AfD hat, wenn sie nicht noch weiter ins Karikatureske abrutschen will. Alexander Gauland und Björn Höcke in dieser Rolle wären der endgültige Beweis dafür, dass die Partei den Versuch aufgegeben hat, sich als seriöse Kraft zu inszenieren. Weidel hingegen, mit ihrem glatten, „seriösen“ Auftreten und ihrer Bankenkarriere im Rücken, soll wohl die Brücke schlagen zwischen den „besorgten Bürgern“ und der Bourgeoisie, die noch zögert, ihr Kreuzchen bei der AfD zu machen.
Doch mal ehrlich: Ist diese Strategie nicht längst durchschaut? Weidel mag zwar rhetorisch stark sein – stark im Sinne von „Ich sag’s, egal wie falsch es ist“ –, aber ihr Image ist längst verbrannt. Der berüchtigte Satz von den „Kopftuchmädchen“ und „alimentierten Messermännern“ hat sich tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Sie ist damit die perfekte Projektionsfläche für all jene, die sich nach der „guten alten Zeit“ sehnen, ohne genau sagen zu können, wann diese eigentlich war. Die anderen sehen in ihr schlicht eine Politikerin, die auf Polarisierung setzt, weil sie sonst nichts hat, was sie anbieten kann.
Kanzlerin Weidel? Wirklich?
Lassen wir die Vorstellung kurz auf uns wirken: Alice Weidel als Kanzlerin. Welche Koalitionspartner stellt man sich da vor? Die CDU unter Friedrich Merz, der sich in seiner Rolle als „Oppositionsführer light“ so wohl fühlt, dass man ihn fast bedauert? Oder doch eine rein rechte Regierung mit dem „liberalen“ Flügel der FDP und vielleicht ein paar unabhängigen Freigeistern aus der Telegram-Welt? Es wäre ein Kabinett der Grauen – und der Grenzüberschreitungen.
Ein Kanzleramt unter Weidel würde vermutlich eine PR-Maschine sondergleichen entfesseln, denn was wäre Deutschland ohne regelmäßige internationale Schlagzeilen? Man stelle sich nur vor, wie sie bei internationalen Gipfeln neben Joe Biden, Emmanuel Macron oder Xi Jinping posiert. Der Kanzlerinblick, der von der AfD-Basis so gerne als „durchsetzungsstark“ gelobt wird, könnte plötzlich ganz anders wirken: verloren.
Der Schaden bleibt
Die Nominierung Weidels zeigt vor allem eines: Die AfD ist auf Eskalation eingestellt. Sie wird keinen Zentimeter zurückweichen, sondern weiter auf Spaltung und Provokation setzen. Das mag kurzfristig strategisch sinnvoll erscheinen, aber der langfristige Schaden für die politische Kultur in Deutschland ist kaum zu überschätzen. Jeder Auftritt Weidels polarisiert, jede Rede spaltet, und jede Provokation zwingt andere Parteien, sich mit Themen zu beschäftigen, die sie eigentlich hinter sich lassen wollten.
Am Ende könnte die AfD ihren größten Coup landen: nicht mit einem Wahlsieg, sondern indem sie den Diskurs so weit nach rechts verschiebt, dass ihre Ideen plötzlich weniger extrem wirken. Und das ist die eigentliche Gefahr – nicht Weidel selbst, sondern das, was sie mit ihrer Kandidatur repräsentiert: eine Normalisierung des Absurden.
Ein alternatives Trauerspiel
Alice Weidel ist die perfekte Kanzlerkandidatin für die AfD, weil sie genau das verkörpert, was die Partei ausmacht: den Versuch, sich als „seriöse Alternative“ zu präsentieren, während sie gleichzeitig die Fundamente der Demokratie aushöhlt. Sie ist glatt genug, um nicht sofort abgelehnt zu werden, und gleichzeitig radikal genug, um die Wähler der AfD zu mobilisieren. Doch diese Strategie hat ihren Preis. Die Frage ist nur, wer ihn am Ende bezahlt: Weidel selbst, ihre Partei – oder wir alle?