FAKT In bester Tradition des „Schwarzen Kanals“ den Klassenauftrag erfüllt
Sieben Minuten können manchmal schnell vergehen. In Zeiten des Glücks zum Beispiel. Schöne Stunden verrinnen wie im Fluge. Erst recht Minuten. Aber es kann auch anders sein. Wenn es schlecht läuft, dann ticken selbst Sekunden nur zäh. Der MDR hat für einen kürzlichen Beitrag des Fakt-Magazins sieben Minuten zusammengeschnitten, die es wirklich in sich hatten. Betrachtet man sie als sensationsheischender, gut konditionierter Zuschauer, stets auf Zuruf zur Empörung bereit, werden sie rasch vergehen. Wer die Absicht dahinter erkennt, der wird sie jedoch als quälend lang empfinden. Thema ist wieder einmal die „konservative Gülen-Bewegung und ihr Einfluss in Deutschland“, wobei in der Gedankenwelt deutscher Neowilhelminer im Wort „konservativ“ bereits ein Charaktervorwurf enthalten ist.
Um es vorweg zu nehmen: Der Magazinbeitrag beantwortet keine einzige Frage. Der Tenor: Die Bildungseinrichtungen der Gülen-Bewegung würden Menschen isolieren und vor allem indoktrinieren. Um es vorweg zu nehmen: Man muss die zahlreichen Fragen, die Menschen an die Gülen-Bewegung haben, nicht inhaltlich beantworten und Stellung beziehen, um den Beitrag als manipulativ zu erkennen und zu benennen. Der Autor dieser Zeilen ist selbst nicht Teil der Gülen-Bewegung und schickt sich, obwohl er einige Bücher zum Thema gelesen hat, nicht an, eine abschließende Beurteilung der Bewegung vorzunehmen. Er lehnt aber manipulative Vorurteile ab.
Bedrohliche Kamerafahrt
Zunächst sollte man sich den Film genau anschauen – er spielt alle Stücke, was Stimmungsmache und Tendenzjournalismus anbelangt: Er beginnt mit einer bedrohlich wirkenden Kamerafahrt in einem leeren Raum, ebenso bedrohlich wirken die Hintergrundgeräusche und die raunende Stimme aus dem Off. Man wähnt sich in einem Krimi. Statt Horatio Caine, Aaron Hotchner oder Lt. Castillo wird aber bloß von unten ein Juso-Politiker eingeblendet, der ein Rätsel zu lösen hat. In einer seiner Veranstaltungen seien vermehrt Menschen mit türkischem Hintergrund gewesen. Diese hätten an der SPD eigentlich gar kein Interesse. Was sie dann genau dort wollen, bleibt unklar. Es wird auch nur angedeutet: Unterwanderung. Denn so viele Kanaken auf einmal können im Ortsverband einer deutschen Partei in einer deutschen Stadt einfach nichts Gutes im Schilde führen. Die Redakteure machen sich nicht erst die Mühe, auch nur einen dieser Menschen vorzustellen oder nach seinen Motiven zu befragen.
Der Verdacht: Die jungen türkischstämmigen Deutschen kämen von der Gülen-Bewegung. Schnitt und die Frage: Was ist diese Gülen-Bewegung? Nun, dazu gibt es umfangreiche Bücher, ein langes Interview in der FAZ mit Gülen, Zeitschriften und, und, und. Die Redakteure von Fakt lassen aber all diese Informationen beiseite – sie könnten die RTL-gestählten Zuseher ja überfordern – und zeigen stattdessen einen unscharfen Youtube-Ausschnitt. Darin sieht man Gülen, der eine Ansprache hält. Der „Anführer“ mahnt, dass seine Anhänger, bis sie bereit seien, „die Welt auf ihre Schultern zu nehmen“ und alles, vor allem die verfassungsmäßigen Organe des türkischen Staates unter Kontrolle genommen hätten, Ruhe bewahren müssten. Vorher sei jeder Schritt verfrüht.
Welche Schritte das sein könnten, das sollen die Zuschauer wohl selbst herausfinden. Vermutlich alle, die zur Weltherrschaft führen – möglicherweise noch im Auftrag der CIA, der Zionisten, der Bilderberger, der reptiloiden Formwandler, der Bajoraner oder des Dominions. Was diese Worte bedeuten könnten, danach recherchieren die Redakteure nicht, sie fragen auch weder Gülen noch einen Sprecher, der das erklären könnte. Wenn man nur einmal kurz schaut, wird klar, diese Ansprache muss Anfang der 80er-Jahre gehalten worden sein, in einer Zeit, in der Ultranationalisten in der Türkei das Sagen hatten. Jede Form von Religion wurde verfolgt. Wie also ist in so einer Situation ohne Demokratie und Menschenrechte eine Einschätzung zu verstehen, man werde die verfassungsmäßigen Organe zu bestimmen versuchen? Wenn es um eine ehrliche Bewertung gegangen wäre, dann hätte man so etwas in Ruhe herausarbeiten können. Wen oder was also wollte Gülen hier unterwandert sehen?
Was will Gülen?
Wenn man jemanden beurteilt, sollte die Grundlage schon ein bisschen mehr sein, als ein aus dem Zusammenhang gerissenes Video. Dabei muss man die Werke Fethullah Gülens noch nicht einmal käuflich erwerben, obwohl auch dies im Recherche-Etat des unter anderem auch von Einwanderern zwangsweise mitfinanzierten MDR drin sein müsste. „Eine Herrschaft des Volkes ist ein Staatswesen, das auf Wahlen und der Konsultation des Volkes beruht. Das erste Buch, das dieses Prinzip umfassend lehrt, ist der Koran.“ Das klingt schon anders. „Eine Herrschaft des Volkes ist dazu verpflichtet, den Glauben, die Gefühle und die Meinungsfreiheit ihrer Bürger zu schützen.“ Solcherlei Zitate Gülens klingen nicht ganz so bedrohlich und hätten wohl deshalb auch nicht in den Beitrag gepasst. Auch nicht diese Warnung des Predigers vor Extremen: „Jeder Mensch sollte darauf achten, dass sein Denken und Handeln keine extremen Positionen zulassen. In Extreme zu verfallen, wirkt wie ein tödliches Gift.“ Nun, eine klammheimliche Sympathie zu Extremen, nämlich extremen Atheisten und Etatisten, scheint den MDR-Verantwortlichen nicht fremd zu sein, immerhin wurde der Beitrag noch vor seiner Ausstrahlung auf „Oda TV“ angekündigt – und dieser Sender stand und steht im Dienste wirklich extremer Kräfte, von denen mittlerweile einige wegen ihrer führenden Rolle im Ergenekon-Netzwerk in Haft sitzen.
Zurück zum Film. Der richtet sein Augenmerk auf die Arbeit der Gülen-Bewegung in Deutschland. Dann folgen Aussagen von Aussteigern aus der Bewegung. Keine Aussteiger wie Andreas Molau, der die rechtsextreme Szene verlassen hat und trotz deren Gewaltneigung mit seinem Namen und seinem Gesicht über alles berichtet, was er erlebt hat. Nein, die „Aussteiger“ aus der Gülen-Bewegung sind gesichts- und namenlos. Nicht einmal ihre Stimmen werden unverfälscht wiedergegeben. Diese angeblichen Aussteiger berichten über geschlossene parallele Strukturen berichten. In den Lichthäusern werde zum Beispiel propagiert, Andersgläubige zu ignorieren und keine deutschen Freunde zu haben. Man kann nicht verifizieren, was der junge Mann erlebt hat: Aber Realität ist, dass gerade die Gülen-Bewegung in Presse und Bildungsarbeit auf die Deutschen zugeht und an Integration arbeitet. Dies aber sei, so die erwartungsgemäße Antwort auf eine Suggestivfrage, nur Fassade. Der Beweis: Das hessische Amt für Verfassungsschutz, immerhin beispielsweise langjähriger Dienstgeber des Don Juan der Kasseler Internetcafés, Andreas T., das „Zweifel am zeitgenössischen Verständnis der Gülen-Bewegung im Sinne einer Annäherung an westliche Gesellschaftsentwürfe“ hege. Kronzeuge ist ein türkischstämmiger Integrationsbeauftragter in Frankfurt, der von einer Umerziehung in den Bildungseinrichtung der Gülen-Bewegung spricht. Und wieder ein anonymer Zeuge, der berichtet, dass kleine Kinder an religiösen Spielen teilnehmen müssten – das gelte jedoch für alle Konfessionsschulen in Deutschland einschließlich Montessori-und Waldorfschulen. Religiöse Spiele für Kinder? Wie furchtbar. Eigenartigerweise sind die gleichen Leute nicht annähernd so sehr um die seelische Stabilität derselben Kinder besorgt, wenn es um zwangsverordneten Sexualkundeunterricht geht.
Wird die SPD unterwandert?
Auch in Leipzig, bekanntlich einer Hochburg islamistischer Strukturen unter den Heerscharen an Einwanderern, die auch prompt zur nächsten Gruselstation wird, finde „hinter verschlossenen Türen“ eine solche Bildungsarbeit statt (das tut für gewöhnlich jede Bildungsarbeit, es sei denn an Tagen der Offenen Tür oder wenn es im Sommer 30 Grad hat und man im Garten sitzt). Durch manipulative Bildeinstellungen (ein verpixeltes Klingelschild wird schräg von unten heran gezoomt) wird suggeriert, es gäbe keinen Ansprechpartner oder man könne mit niemandem reden. Es heißt nur: Der Geschäftsführer bekenne sich nach Informationen, die Fakt vorlägen, zur Gülen-Bewegung. Immerhin ein beeindruckender Beweis für klandestine Tätigkeit. Dieser Geschäftsführer habe nicht Stellung genommen, heißt es später. Nur insoweit, als man bestreite, die SPD unterwandern zu wollen.
Stattdessen gibt es einen amüsanten Einspieler mit einem Interview des ehemaligen SPD-Verkehrsministers Tiefensee, der lediglich erklärt, jene Bildungseinrichtung – über die der Fernsehzuschauer im Übrigen nichts erfährt – hätte nichts mit der Gülen-Bewegung zu tun. Tiefensees Aussagen werden so zusammengeschnitten, dass der Beitrag stellenweise eher an die Heute Show erinnert denn an ein politisches Format. Na ja, irgendwie hat er generell etwas Realsatirisches an sich. Er wirkt streckenweise wie eine schlechte Parodie des „Schwarzen Kanals“ aus DDR-Zeiten. Vielleicht erklärt die Sozialisierung der MDR-Journalisten mit diesem ja auch einiges. Ganz geschickt wechselt der Beitrag dann die Sachebene: Es geht plötzlich gar nicht mehr darum, wie diese Einrichtung arbeitet. Lediglich, ob sie Teil des Netzwerkes ist, wird gefragt. Der Kreis schließt sich: In der SPD seien viele neue Mitglieder, die sich – horribile dictu -wohl auch religiös betätigen. Eingeblendet werden im Laufband türkische Namen. Bedrohlich – als werde die SPD in Leipzig „übernommen“.
Die Geister, die ich rief…
„Fakt“ stützt sich also auf folgende Informationen: Eine nicht datierte und aus dem Zusammenhang gerissene Rede und zwei Aussagen von anonymen „Informanten“. Warum diese anonym bleiben, wird nicht klar. Ebenfalls ist nicht verständlich, weshalb nicht Protagonisten der Gülen-Bewegung selbst befragt werden. Es wird dargestellt, diese wolle ihre Ziele in die Gesellschaft implementieren. Es wird aber an keiner Stelle gesagt, welche Ziele das sind. Und: Will nicht jede Weltanschauungsgruppe oder Religion ihre Werte an andere vermitteln? Worin unterscheidet sich die Gülen-Bewegung von anderen gesellschaftlichen Gruppen? Von vornherein wird klar, dass es nicht darum geht, das Phänomen Gülen-Bewegung einer sachlichen Analyse zu unterziehen. Sinn und Zweck ist reines Bashing.
Ein ungutes Gefühl hinterlässt der Magazinbeitrag auch deshalb, weil er Angst verbreitet, wo Dialog und Aufklärung am Platze wären. Vor der latenten und zeitweisen „Aufkündigung der Angstfreiheit sowie angsterzeugenden Machtdemonstration gegen Unterlegene und Abgewertete“ warnte bereits vor über zehn Jahren Wilhelm Heitmeyer. Aus der Unsicherheit, Fremdes zu verstehen und in das eigene Leben zu integrieren, entsteht am Ende eines langen Prozesses „deutscher Zustände“ oft Gewalt. Die Vorformen dieser Gewalt analysiert Heitmeyer ganz sachlich: „Sie beginnen bei Abwertungen, können sich in Abwehr manifestieren, in Diskriminierungen ausdrücken und zu Ausgrenzungen von einzelnen Menschen allein schon aufgrund von faktischer und vermuteter und zugeschriebener Gruppenzugehörigkeit führen.“ Ein Sympathisant der Gülen-Bewegung, selbst Eltern, die ihr Kind zur Nachhilfe schicken, werden durch so einen Beitrag faktisch isoliert und ausgegrenzt. Die nächste Stufe ist dann die gezielte Dehumanisierung – aber darin hat man im „aufgeklärten“ Europa ja Routine…
Die politische Linke wähnt sich frei vor den Gefahren gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Die Reaktion des im Film dargestellten und instrumentalisierten Jusos lassen anderes vermuten. „Unterwanderung“, „Angst vor Übernahme und Überfremdung“ – in diesem Fall der eigenen Partei – sind keine anderen Argumente als die aus dem rechtsextremen und populistischen Bereich. Kein Wunder, dass der NPD-Landtagsabgeordnete Jürgen Gansel namens seiner Fraktion bereits eine auf einen ähnlichen Bericht im deutschen Fernsehen gestützte parlamentarische Anfrage gestartet hat. Statt das Andere zu dämonisieren und auszuschließen, könnte man auch den Dialog führen. Dass dies seriös möglich ist, hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem ausführlichen Interview gezeigt. Dies würde allerdings voraussetzen, dass man ein pluralistischer Demokrat ist und nicht ein Volksdemokrat nach sowjetischem Muster, der Freiheit nur jenen Menschen zugestehen wollte, die auch über das aus seiner Sicht „richtige Bewusstsein“ verfügen.
Fakt ohne Fakten, vor allem ohne Gegenrede und eine umfassende Sicht auf die Dinge. Das sind sieben quälende Minuten für Mediennutzer, die von einem von Bürgern finanzierten Fernsehjournalismus erwarten, von jedem Problem mindestens zwei Seiten zu hören, um sich am Ende ein freies Urteil zu bilden. Am Ende bedienen die Journalisten des MDR damit die Vorurteile von Islamhassern, die Angst vor jeder Form von Diversität haben und jeden Andersdenkenden als Bedrohung empfinden. Damit wird Xenophobie Vorschub geleistet und die angeblichen kritischen Journalisten haben damit der Demokratie einen Bärendienst erwiesen. Aber vielleicht war genau dies ja der Zweck im MDR, der mehr als einmal auch nach 1990 noch zu einem ruhigen Hinterland für ehemalige Stasi-Banditen geworden sein soll.
Medien müssen Missstände aufdecken und über unbequeme Dinge berichten. Allerdings haben sie auch eine Verantwortung, weil sie Stimmungen machen. Im Deutschland des 21. Jahrhunderts leben mehr unterschiedliche Lebensentwürfe zusammen als jemals zuvor in der Geschichte. Das scheint manche zu überfordern. Ein Blick auf die Krisengebiete dieser Welt zeigt, wie viel Duldsamkeit und Toleranz notwendig ist, damit nicht die Gewalt regiert. Der offene Blick auf das Andere zeigt nicht selten, dass Verbindendes dort entstehen kann, wo sonst Ungewohntes verängstigt. Man muss kein Anhänger Fethullah Gülens sein, um sich nach dem Fakt-Beitrag so etwas Verbindendes in der Berichterstattung des MDR zu wünschen: „Begegne jedem in einer Versammlung geäußerten Wort mit Hochachtung. Weise Ideen, die nicht mit deinen Ideen übereinstimmen, nicht pauschal zurück. Vergegenwärtige dir einfach, dass jene Ideen von einem anderen Standpunkt aus vorgetragen wurden, und gedulde dich!“