Bildquelle: David Shankbone | CC BY 2.0 | Ground Zero Mosque Protesters
Die Anschläge in Paris waren wieder mal ein Anlass, um über „unsere westlichen Werte“ nachzudenken und zu fragen, ob „die Muslime“ eine Gefahr für diese darstellen. Wieder einmal denken wir darüber nach, unsere Sicherheitsvorkehrungen zu verschärfen und unsere Toleranz, Offenheit, Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit – die keine verhandelbaren Freiheiten seien – infrage zu stellen. Dabei stellt sich die Frage, ob das nicht ungewollt und indirekt das Ziel der Terroristen ist?
In der EU leben ca. 10 Millionen Muslime, davon ca. 4 Millionen in Deutschland, einige von ihnen schon seit den 1950er Jahren. Die letzten 50 Jahre zeigen – vor allem in Deutschland – eine friedliche Glaubensgemeinschaft, die nichts mit derlei Gewaltverbrechen zu tun hat. Natürliche gibt es, wie bei jeden religiösen oder nichtreligiösen Gemeinschaft, Ausnahmen und hin und wieder Probleme. Die zurückliegenden Jahrzehnte zeigen jedoch, dass die Muslime mit der Verfassung und mit der Staatsordnung zufrieden sind. Das ist auch eines der Gründe, wieso sie ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland aufgebaut und anschließend auch beibehalten haben. Der Glaubensfreiheit nach Art. 4 des GG ist es zu verdanken, dass es mittlerweile fast in jeder Stadt eine Moschee gibt, in der Muslime ihrem Glauben nachgehen können und das ist gut so. Dies trifft bedauerlicherweise nicht auf alle Länder zu, aus denen diese Menschen oder ihre Vorfahren gekommen sind.
Terroristen profitieren von Pauschalverdächtigungen
Das Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen ist auf Grund vieler Ereignisse der letzten 50 Jahre mit einer Reserviertheit verbunden gewesen. Dafür sind sowohl weltpolitische Veränderungen, die internalisiert worden sind, als auch unterschiedliche Glaubensüberzeugung und Werte verantwortlich, die oft dazu führten, dass man vieles nicht verstanden und man sich gegenseitig als Bedrohung empfunden hat. Daher lebte man zumeist nebeneinander statt miteinander. Dieses Nebeneinander war vielleicht auch eine Art Schutz vor dem sogenannten Fremden.
Vieles hat sich in den letzten Jahren geändert und zum Positiven gewandelt, allerdings ist es nicht hilfreich, nach Ereignissen wie in Paris immer wieder auf Muslime zu zeigen und zu fordern, dass sie ihre Religion überdenken bzw. reformieren sollen. Dabei wird oft verkannt, dass man damit einen weiteren Graben zwischen Muslimen und Nichtmuslimen aufreißt, der solchen Terrorgruppen Butter aufs Brot schmiert. Die Annahme, der Islam sei eine Gewalt abverlangende Religion, wenn es darum gehe, sich zu verbreiten und mit Gewalt Ziele durchzusetzen, ist eine vereinfachende und zugleich verfehlte Feststellung, die zu keiner langfristigen Lösung des Problems führt. Genauso ist es zu vereinfacht, zu sagen, der Islam habe nichts mit den Gewalttaten zu tun, da die Täter sich darauf berufen und somit den Islam für sich kidnappen.
Strategie der Spannung gibt es auch von unten
Die Frage sollte vielmehr lauten, um hier eine saubere Abgrenzung zu treffen, auf welche Art von Islam sich die Täter berufen und wieso sie sich dadurch motivieren. Die Mehrheit der Muslime ist sunnitisch und praktiziert ihre Religion nach den vier sunnitischen Rechtsschulen, die in ihren religiösen Praktiken Unterschiede aufweisen, jedoch nicht in der Grundbotschaft, die sich auf Koran und Sunnah (Aussprüche des Propheten) beruft. Dieser Islam scheint keine Probleme mit der westlichen Werteordnung zu haben und somit kein Hindernis in der Demokratie zu sehen. Neben diesem friedlichen Islam gibt es jedoch einen politischen Islam, der Religion dazu missbraucht, um politische Macht zu erlangen und sich dazu berufen fühlt, dem Islam auch eine politische Kraft zu verleihen.
Hierbei haben dessen Anhänger keine Skrupel, Gewalt einzusetzen, um ihre politische Macht zu demonstrieren und die Religion zu pervertieren. Sie fühlen sich in ihren Aktionen auch nicht vom Westen bedroht, vielmehr sind es Provokationshandlungen, die ihren Zielen dienen sollen, um friedliche Muslime auf ihre Seite zu ziehen, indem sie die Welt in Weiß und Schwarz aufteilen: Auf der einen Seite der böse Westen, auf der anderen die guten „Muslime“, die für ihre vom Westen unterdrückte, kolonialisierte und im Stich gelassene Welt kämpfen.
Einig im Kampf gegen den Pluralismus
Der aktive Krieg wird jedoch nicht im Westen, sondern in islamisch geprägten Ländern gegen Muslime ausgetragen. Die Anschläge in Europa sollen vor allem eins bewirken: Das Zusammenleben der friedlichen Muslime erschweren, um auf der einen Seite aus ihnen kämpferische Muslime zu machen, auf der anderen Seite die Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen und die Verbreitung von Angst zu bewirken. Die plurale Gesellschaft, in der jede Überzeugung ihren Platz hat und sich gegenseitig bereichern kann, soll nicht mehr friedlich zusammenwachsen, sondern auseinanderdividiert werden.
Dadurch soll die freiheitlich demokratische Grundordnung wieder zur Disposition stehen. Grundrechte sollen auf Grund der Angst eingeschränkt, überdacht und in Frage gestellt werden. Der Beginn dieses Umdenkprozesses hat bewusst oder unbewusst bereits begonnen. Wir diskutieren und vergleichen unsere Werteordnung mit jenen nicht demokratischen Staaten und fragen, wieso es dort keine Kirchen gäbe, aber bei uns Moscheen. Dabei wird meist übersehen, das man allein durch diese Fragestellung schon anfängt, die Glaubensfreiheit, auf die wir im Gegensatz zu anderen Ländern stolz sein können, zu überdenken.
Angst ist kein guter Ratgeber
Freiheitsrechte können aber nicht davon abhängig gemacht werden, was in undemokratischen Ländern passiert. Ein weiterer Punkt ist das Importieren internationaler Konflikte, die uns hierzulande nicht vorwärtsbringen, sondern nur zusätzliche Probleme entstehen lassen und für mehr Spaltung in der Gesellschaft sorgen. Die meisten der hier lebenden Muslime sind bereits Inländer und haben nur durch Verwandte mit den Ländern ihrer Eltern Kontakt. Diese Länder sind für viele nur noch ein Urlaubsland, nicht mehr und nicht weniger. Eine Diskussion über die Probleme dieser Länder führt nur dazu, dass Muslime sich ausgegrenzt fühlen. Wer will schon über ein Land diskutieren, in dem er zwar nicht lebt, dessen Probleme er jedoch erklären soll?
Eine ständige Debatte über Anschläge, Angst und Sicherheit, verbunden mit der Vermittlung des Gefühls, jederzeit einem Anschlag zum Opfer fallen können und daher an den Freiheitsrechten schrauben zu müssen, um Sicherheit zu gewährleisten, ist genau das, was uns zu Opfern dieser Scharfmacher macht und ihnen Macht über unser Wertesystem verleiht. Es triumphiert die Macht der Angst und des Hasses, die uns dadurch immer mehr zum Polizeistaat werden lässt, wie man ihn sonst nur aus diktatorischen Regimen kennt. Und die Gefahr droht nicht nur von dieser Macht, sondern auch durch die Veränderung der Gesellschaft, die die Befürchtung hat, durch eine schleichende Islamisierung bedroht zu werden, wie dies die PEGIDA-Bewegung postuliert.
Es ist daher umso wichtiger, sich nicht auf die Schwarz-Weiß-Malerei dieser extremen Gruppen einzulassen und stattdessen mehr Dialog und Miteinander zu wagen. Im Interesse eines friedlichen Miteinanders führt kein Weg daran vorbei. Die Radikalisierung und die Angst führen nur dazu, dass wir anfangen, unsere Werte in Frage zu stellen und an diesen zu zweifeln.