Auf dem umjubelten Höhepunkt des Festivals tanzten 24 Schüler aus Afrika und dem Kaukasus einen streng choreografierten Volkstanz zu türkischen Rhythmen. Mit Verwunderung sah ich, wie die zwölf afrikanischen Schüler (aus Uganda und Südafrika) ihre geringfügigen Nachteile gegenüber der schnellen Tanzpräzision ihrer zwölf Kollegen aus dem Kaukasus (aus Aserbaidschan und Georgien) mehr als wettmachten, indem sie ihren eigenen „Swing“ in die Darbietung einbrachten. Das Auge wanderte ständig zwischen den Gestalten der dunkel- und hellhäutigen Tänzer hin und her, die sich bald in einheitlichen Linien aufstellten, bald wieder wirbelnd miteinander vermischten. Es waren immer und überall dieselben Schritte, aber es war jeweils eine andere schwarze oder weiße Körpersprache, mit der sie ausgeführt wurden. Zusammen in seiner Summe war alles perfekt und wurde mit einer frenetisch geforderten (und gewährten) Zugabe gefeiert.

runkelIn etwa nach der Hälfte der Vorführung seitens der Tänzer flüsterte ich meinem Nachbarn Necattin ins Ohr, so etwas hätten die alten weißen Kolonialherren niemals zu Stande gebracht. Schon allein der Gedanke, dass man einen europäischen Volkstanz so mit Afrikanern zusammen aufführt, sodass die Unterschiede fast zum Verschwinden kämen, wäre den Kolonialherren niemals gekommen. Sie hätten das Vorhaben für ganz und gar unmöglich gehalten.

Ich erinnerte mich an eine Veranstaltung, in der nordrhein-westfälische Türken von einer Reise nach Kenia berichteten, bei der sie zum islamischen Opferfest eine große Menge von Rindern an Ort und Stelle schlachten und das Fleisch unter den armen Menschen von Nairobi verteilen ließen. Immer wieder wurde ihnen gesagt, dass sie, die Türken, irgendwie „anders“ seien als die restlichen weißen Europäer. Es sei keine Distanz zwischen ihnen und den Afrikanern. Das wurde lobend erwähnt.

Weltmusik mit Türkisch als Sprache des Dienstes

In Düsseldorf führten 250 Schüler aus 145 verschiedenen Ländern ein über dreistündiges Programm aus Liedern und Tänzen auf, das zu etwa drei Viertel auf türkischen Vorlagen aufgebaut war, zu einem weiteren Viertel aber auch in den Sprachen und Melodien jener Länder vorgetragen wurde, aus denen die kleinen Künstler stammten. Es entstand am Ende der Eindruck einer von viel moderner Technik unterstützten Weltmusik, die sich stark an türkische Ursprünge anlehnt, aber niemals von irgendeiner Art von türkischem Nationalismus beherrscht werden könnte. Ich habe zwischendurch gedacht, ob es möglich wäre, irgendwo in der Welt ein Festival mit bayerischer Volksmusik zu machen, in dem Teilnehmer aus der ganzen Welt zur Begleitung einer Blaskapelle in feinstem Bayrisch ihre Lieder singen würden. Vermutlich ginge das nicht, denn das deftige „Mir san mir“, das immer aus allen Ecken dieser Musik herausläuft, würde wohl sehr bald in Gefahr geraten, in ein „Ihr seid anders“ umzuschlagen.

Nichts davon bei den Türken. Zwar kann etwa die hübsche Algerierin, die das todtraurige „Geςer“ (Es vergeht) so singt, dass die rund 12 000 überwiegend türkischstämmigen Zuhörer zwischen rasender Begeisterung und tiefer Melancholie hin- und hergerissen sind, auf einen gemeinsamen Ursprung in der arabischen Musik zurückgreifen, vielleicht sogar auf Quellen im Osmanischen Reich. Aber das Türkische beherrscht heute nicht, es liefert nur eine gewisse Sprache als Hilfsmittel, in die man sich musikalisch, singend und tanzend hineinfinden kann. Es dient.

Musik als Brücke

„Dienst“ ist auch der zentrale Gedanke des geistigen Oberhauptes der Bewegung, die für diese Olympiade verantwortlich zeichnet, Auf dem Höhepunkt der Veranstaltung wurde eine auf Tonträger aufgezeichnete Grußbotschaft des in den USA lebenden Fethullah Gülen abgespielt (mit deutscher Übersetzung auf den Bildschirmen in der Halle). Er fand sehr noble Worte des Dankes für Deutschland als dem Austragungsort dieser „Kulturolympiade“, die man aufgrund von Erdoğans Schikanen kurzerhand aus der Türkei heraus verlegt hatte und in Rumänien, Äthiopien und abschließend hier in Deutschland stattfinden ließ. Gülen sagte, Deutschland sei das Land, das in seiner Nationalhymne Einigkeit und Recht und Freiheit besingen und diese Werte tatsächlich auch hochhalten würde. Das hörte ich gerne.

Am Schluss sang die ganze Halle das diesjährige Titellied der Olympiade „Eine neue Welt“ („Yeni Bir Dünya“). Auch hier war die Musik in klar türkisch gefärbten Tönen gewählt. Die Linien der Melodie lehnten sich aber an die westliche Tonalität an, wie überhaupt die meiste Musik so komponiert war, dass man sie auf einem gewöhnlichen Klavier hätte begleiten können.

Ich bin mit diesem Lied im Kopf aus der Halle gegangen und habe es als einen wohltuenden Fortschritt empfunden, dass mir die Musik, die mir bei meinem ersten Besuch 1971 in Istanbul noch vollkommen fremd erschienen war, doch in gewisser Weise näher gekommen ist. Sie hat sich seither verändert, ich aber auch. Demnächst hole ich mir einmal ein paar türkische Musiker an mein Klavier und versuche, mit ihnen zusammen Musik zu machen. Ich arbeite auch schon an einem Lied, das ich mit ihnen spielen kann.

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Christian Runkel, Jahrgang 1949, lebt und arbeitet als selbständiger Wohnungsverwalter in Remscheid. Er ist verheiratet, hat fünf Kinder und ein Enkelkind und ist aktives Mitglied einer evangelischen Freikirche. Nach einem Bankpraktikum 1971 in Istanbul hat er lebenslang den Kontakt zu Türken in seiner Nähe gesucht und beteiligt sich lebhaft am Austausch zwischen Christen und Muslimen. Seine neuesten Erlebnisse auf einer Wanderung durch Palästina hat er in einem Tagebuch beschrieben, das vor wenigen Tagen bei Amazon erschienen ist.

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