Daran, was sich am 24. August 2012 in Betzdorf abgespielt hatte, kann sich kaum noch einer erinnern: In die Wohnung der türkeistämmigen Familie K. wird eingebrochen. Zwei Männer, bewaffnet mit Pistole und Eisenstange, beleidigen die Familie rassistisch und gehen auf diese los. Der Familienvater verteidigt sich mit einem Küchenmesser – restriktive Waffengesetze, die den Erwerb von Schusswaffen erschweren, treffen nun mal nur den gesetzestreuen Bürger. Er versucht noch den Tathergang mit der Handykamera aufzunehmen, doch dieser fällt zu Boden. Die kurze Aufzeichnung reicht aus, um die Angst der Familie mitzuverspüren. Man hört die Schreie der Kinder, die Frau schreit um Hilfe. Das mittlerweile nicht mehr erreichbare Portal „Turkishpress“ hatte das Video veröffentlicht und darüber berichtet. 

Der Familienvater Ali K. macht das, was jedes Überfallopfer machen würde: Er alarmiert die Polizei. Was folgt, ist die bekannte Vorgehensweise, die wir von den NSU-Ermittlungen kennen: Das Opfer wird für den Täter gehalten. In dem Irrglauben, es habe ein Familienstreit stattgefunden, führt die Polizei Ali K., das Opfer, in Handschellen ab. Es folgt eine dreistündige Vernehmung. Währenddessen trifft der Bruder des Familienvaters, H.K. bei der Familie ein. Die Verstörtheit der Kinder veranlasst ihn dazu, einen Krankenwagen zu bestellen. Nach Angaben von H.K. wird dieser jedoch von der Polizei abbestellt. Er erstattet Anzeige gegen die Beamten.  

Stand zum 24.August 2013:

Bis heute, knapp 13 Monate nach der Tat, haben die Ermittlungen weiterhin keine aufschlussreichen Informationen über die Täter ergeben. Die Ermittlungen gegen die Beamten wurden zwischenzeitlich eingestellt. Doch um die Aufklärung der Straftat kämpft die Familie K. weiterhin.

Die Familie hat bis dato mehrfach Strafanzeige gestellt, unter anderem auch wegen Strafvereitelung und Befangenheit in den agierenden Institutionen. Die Anschuldigungen sind besorgniserregend. Das Ermittlungsverfahren zeige demnach Lücken auf und das auch in Bereichen, welche zur Beweisaufnahme und daraus folgend zur Täteridentifizierung eine zentrale Rolle hätten spielen können. U.a. sei das Polizeibuch zum Vorfall verschwunden, die Stimmaufzeichnungen der Täter und Opfer während des Notrufes wurden gelöscht, Täterspuren nicht ausgewertet, Hauptzeugen mit Auskünften über Tätermotiven nicht vernommen worden. Anträge des Anwaltes der Familie auf Akteneinsicht und Mitteilung über die Sachlage blieben erfolglos.

Anschuldigungen, die mir vor nicht allzu langer Zeit irreal erschienen: Unweigerlich entstehen in vielen Köpfen Assoziationen mit den „Missgeschicken“ der NSU-Ermittlungen. Haben die Polizisten den Opfern gegenüber mit der nötigen Sensibilität gehandelt? Mangelt es in den Sicherheitsbehörden weiterhin an interkultureller Kompetenz? Ein Opfer wurde als Täter deklariert, wenn auch nur für kurze Zeit. Die Reaktionen der Familie als unverhältnismäßige Aufregung dargestellt.

Im vorläufigen Beschluss/ Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses werden Empfehlungen für den Bereich der Polizei und Staatsanwaltschaft beschrieben. U.a. sei es die Wahrnehmung der Situation und die dabei unterlaufene Fehleinschätzung, die zu Fehl- bzw. Nichtermittlungen geführt habe. Es gebe gruppenbezogene Vorurteilsstrukturen, zu deren Umstrukturierung es einer Restaurierung des Leitbildes der Sicherheitsbehörden bedürfe.

Ob diese Empfehlungen nun umgesetzt werden, wird die Zukunft zeigen. Fälle wie jener der Familie K. werden zweifellos zumindest von der migrantischen Bevölkerungen mit einem höheren, emotional geleiteten Interesse verfolgt und nicht aufgegeben.  Sicherheitsbehörden werden in dieser erhofften „Regenerierungsphase“ mit Sicherheit einer erhöhten Skepsis gegenüberstehen. Eine unabhängige polizeiliche Beschwerdestelle mit Prüfkompetenz, wie im vorläufigen NSU-Bericht vorgeschlagen, hätte vielleicht schon im Falle der Familie K. gefruchtet, zumindest Vertrauen bekräftigt und evtl. Missverständnissen vorgebeugt.

Werden bei den Ermittlungen zum Bernburger Fall Lehren gezogen?

Rechtsextremistische Überfälle geraten leider nur kurzzeitig zu Ermittlungsbeginn in die Öffentlichkeit. Auch beim jüngsten Überfall auf einen Gastronomen im Bernburger Bahnhofsgebäude wird man dieses Phänomen möglicherweise beobachten können. Über Ermittlungszwischenstand und –ausgang erlangt man kaum Kenntnis. Dass diese noch über Monate hinweg die betroffenen Opferfamilien belasten und in wie vielen Fällen überhaupt die Täter identifiziert und strafrechtlich verurteilt werden, bleibt fern vom Fokus der Gesellschaft. Familie K. und umliegende Nachbarn berichten von Anzeichen rechtsradikaler Umtriebe in der näheren Nachbarschaft. Auch Drohungen seien ausgesprochen worden.

Die Täter sind noch unbekannt. Die Angst der Familie während des Überfalles und die psychischen Folgen für die Kinder sind nicht kleinzureden. Doch größer und bedrückender ist wohl die Angst, mit dem Umstand leben zu müssen, dass sich in nächster Nähe Menschen aufhalten könnten, die aus rechtsradikalen Ambitionen heraus bereit sind, Menschen zu verletzen oder sogar ihr Leben zu gefährden. Zum Schutz seiner Familie installierte Ali K. nun eine Alarmanlage – wohl die einzig mögliche, aktive Präventivmaßnahme für die eigene Sicherheit.

Familie K. kämpft um eine lückenlose Ermittlung des ihnen widerfahrenen Ereignisses. Ich hoffe, dass alle staatlichen Institutionen, vor allem die Sicherheitsbehörden, mit allen Mitteln des Rechtsstaates zur Aufdeckung dieser und ähnlicher Taten entschlossen sind, abseits von jeglichen Fehleinschätzungen und gruppenbezogenen Vorurteilen.

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Studiert Soziologie an der Universität Mainz. Ist Initiatorin der Facebook-Gruppe: Rechtsextreme Gewalt und Übergriffe. Vorsitzende der Hochschulgruppe MOSAIC und schreibr zurzeit Ihre Abschlussarbeit in Organisationssoziologie.

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