Bildquelle: Dietmar Borgwart | CC BY-SA 3.0 | Podiumsdiskusion der Bundeszentrale für politische Bildung Berlin

„Doublethink“ ist ein Begriff aus dem dystopischen Roman 1984 von George Orwell. Er beschreibt die Fähigkeit, in seinem Denken zwei widersprüchliche Überzeugungen aufrechtzuerhalten und beide zu akzeptieren.

Jene „säkular-humanistische“ Elitenideologie, die im Laufe der letzten Jahrhunderte von Westeuropa aus einen Siegeszug angetreten hatte, der sich zum Teil sogar auf allen Kontinenten der Welt in Entscheidungen der politischen Führung und nicht selten in folgenschweren Weichenstellungen zum Schaden von Millionen Menschen niederschlug, hat diese Fähigkeit mittlerweile weiterentwickelt und perfektioniert.

Beispiele dafür finden sich tagtäglich auch und gerade in deutschen „Qualitätsmedien“ und vonseiten nicht weniger Politiker, Kommentatoren und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die uns Überzeugungen verkaufen wollen, die sie bei Bedarf schon im gleichen Atemzug selbst wieder umstoßen.

Einer dieser wesentlichen Widersprüche bezieht sich auf das Verhältnis zwischen dem Staat und den Familien. Weite Teile der Nation oder zumindest die veröffentlichte Meinung in den Mainstreammedien mutieren zu vor Empörung bibbernden Claudia-Roth-Klonen und schreien Zeter und Mordio, wenn beispielsweise der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdoğan oder – augenscheinlich von diesem inspiriert – der russische Präsident Vladimir Putin in öffentlichen Reden ihre Bürger ermutigen, Familien mit mindestens drei Kindern zu gründen, um den Aufschwung und die Zukunft ihres Landes zu sichern.

Geht es wirklich um die „Selbstbestimmung“?

Von „Islamisierung“ (die als Hintergedanke wohl im Falle Putins als eher unwahrscheinlich betrachtet werden kann) über „Faschismus“ (der im Unterschied zu Deutschland im Laufe der Geschichte weder in der Türkei noch in Russland jemals Macht ausüben konnte) bis hin zu „Bevormundung der Familien“ reichen die Reaktionen. Auch wenn es weder in Russland noch in der Türkei irgendwelche gesetzlichen Strafsanktionen gegen Familien mit weniger als drei Kindern gibt oder solche auch nur angedacht wären, tut man im Land der Glühbirnen- und Homeschoolingverbote so, als hätte man über Nacht sein Herz für die Verteidigung der Selbstbestimmung des Bürgers entdeckt.

Nun ist es ja nicht so, dass es in Deutschland selbst oder in anderen Ländern der Welt keine dankbaren Gelegenheiten gäbe, sich dafür einzusetzen, dass der Staat und die Bürokratie sich aus dem Leben von Menschen und insbesondere aus Familienentscheidungen herauszuhalten hätten.

In Deutschland könnte man beispielsweise gegen die gerichtliche Verfolgung von Vätern und Müttern protestieren, die ihre Kinder zu Hause unterrichten oder von bestimmten schulischen Unterrichtsinhalten fernhalten wollen, die sie auf andere Weise oder zu einem anderem Zeitpunkt mit ihren Kindern erörtern wollen. Man könnte das ungleiche Verhältnis in Frage stellen, das zwischen der öffentlichen Förderung von außerhäuslicher und häuslicher Kinderbetreuung herrscht – immerhin steht dem Betreuungsgeld in Höhe von € 150,00 monatlich ein Vielfaches an Steuermitteln für einen Kindergartenplatz zur Verfügung.

Oder man könnte Politikern entgegentreten, die einen Kitazwang fordern oder Eltern das Recht nehmen wollen, ihre Kinder an religiösen Ritualen wie der Beschneidung teilnehmen zu lassen.

Wem das als zu „heiß“ erscheint, könnte sich auch damit begnügen, ab und an mal eine Petition zu unterfertigen, die sich gegen barbarische Praktiken richtet, die hier und heute in Teilen Asiens stattfinden und die nicht selten durch europäische Formen der Junk Science (zB Malthusianismus oder „Club of Rome“-Ökoesoterik) oder marxistische und rassistische Ideologien inspiriert sind.

Das könnte sich etwa gegen von EU und UNO mitfinanzierte Zwangssterilisationen in Indien richten, gegen die Ein-Kind-Politik in China, gegen die Völkermordpolitik Burmas, die muslimische Rohingya trifft oder beispielsweise gegen die kürzlich verabschiedete „Reproductive Health Bill“ auf den Philippinen.

Der Staat als Designer des Privatlebens

Ein buntes, multireligiöses, kulturell reiches und wirtschaftlich gemessen an der Korruption und Unfähigkeit nicht unerheblicher Teile der politischen Führung stabiles Land soll, wenn der Verfassungsgerichtshof das Gesetz nicht aufheben sollte, künftig unter die Knute marxistischer Ideologie und staatlicher Bevölkerungskontrolle geraten.

Tritt dieses Gesetz in Geltung, werden Blockwarte – „lokale Bevölkerungsbeamte“ genannt –das Recht bekommen, Privathaushalte aufzusuchen. Es wird keine staatliche Heirat ohne ein „Prüfzertifikat“ der lokalen Familienplanungsbehörde geben.

Von der 5. Klasse an werden Kinder „Wertebildung“ und Erziehung zum Thema „Bevölkerung und Entwicklung“ sowie „verantwortliche Elternschaft“ in Schulen erhalten. Die Regierung will „helfen“, die „gewünschte Familiengröße“ zu erreichen, wobei man die Zwei-Kind-Familie als Idealgröße definiert.

Verstöße gegen das Gesetz oder „Desinformation“ darüber werden mit Geld- und sogar Freiheitsstrafen bedroht.

Es gibt Gesetze, die geradezu dazu einladen, sie nicht zu befolgen und zivilen Ungehorsam zu leisten, weil sie bereits als solche geschriebenes Unrecht darstellen und gegen jedwede Moral und gegen jedes intakte Gewissen verstoßen. Neben Rassegesetzen, denen beispielsweise die Maßnahmen der Regierung in Burma nahekommen, würden gegen die Gewissensfreiheit gerichtete Vorschriften wie Kopftuchverbote dazu zählen und eben auch staatliche Gesetze zur Geburtenkontrolle wie die eben erwähnten.

In Entwicklungsländern fehlt es jedoch den Betroffenen nicht selten an den Mitteln und Möglichkeiten, so etwas durchzuziehen. Die staatliche Ehe ermöglicht nicht selten Leistungen wie Witwenrenten, die gerade für ärmere Bürger bedeutend sein können.

Ausbleibende Geschäftigkeit

Wie es aussieht, halten „humanistische“ Eliten Menschen zwar für fähig, verantwortungsvoll über Leben und Tod ungeborener Kinder zu entscheiden, aber sobald Kinder geboren sind, wären sie mit ihrer Erziehungsaufgabe überfordert und sollten diese möglichst früh an den Staat übertragen. Es soll Leute geben, die so etwas ernsthaft für logisch halten.

Bis dato habe ich jedenfalls keine auf Filipino verfassten Titelgeschichten des „Spiegel“ bemerkt, in denen gegen die Anmaßung des Staates auf der südostasiatischen Insel protestiert worden wäre und die Bürger aufgefordert wären, sich diesen Anordnungen nicht zu beugen. Keine „Anne Will“-Debatten mit deutsch-philippinischen Katholiken oder Muslimen, die sich kritisch über diesen politischen Amoklauf äußern, keine Appelle von Künstlern, keine Forderungen, die Philippinen aus internationalen Organisationen auszuschließen oder gar wieder unter US-amerikanische Verwaltung zu stellen (unter der es den Menschen im Lande meist besser ging als unter den Diktaturen danach).

Auch habe ich noch nichts über grüne Abgeordnete gelesen, die sich in Manila den Blockwarten entgegengestellt hätten. Vielleicht liegt es aber nur daran, dass es ihnen dort derzeit zu warm und zu regnerisch ist…

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Jg. 1973, ist allein erziehender Vater, freiberuflicher Lektor, Lerncoach und Kommunikationsdienstleister. In diesem Rahmen ist er unter anderem Redakteur beim "Deutsch-Türkischen Journal", Betreuer der Wirtschaftsblogs "Wirtschaft Global" und der "Blickpunkt"-Reihe aus dem Hause der ADMG Publishing Ltd. (Saigon). Er lebt in Bernburg/Saale.

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