Willkommen im ewigen Roadtrip der Karaçay-Türken – einem Volk, das Historiker in Atem hält und Politiker in Erklärungsnot bringt.
Wer sind diese mysteriösen Karaçay-Türken? Eine antike Rockband? Ein vergessener Cocktail? Falsch! Die Karaçay-Türken sind ein stolzes, zähes und vor allem extrem reisefreudiges Volk. Nicht, weil sie es wollten, sondern weil es „höflich“ für sie arrangiert wurde – von Großmächten, die dachten, Völker seien Koffer, die man einfach mal so umstellen kann.
Von Skythen zu Sowjets: Ein Volk in Endlosschleife
Man nehme ein bisschen von den Kimmerern, eine Prise Hunnen, füge ein paar Alanen hinzu und toppe das Ganze mit den Kiptschaken. Fertig ist die einzigartige Ethnie der Karaçay-Türken. Doch wer denkt, das sei schon wild, sollte sich anschnallen. Ihr gesamter Geschichtsunterricht könnte sich als Roadmovie herausstellen.
Die Karaçay-Türken lebten ursprünglich im Kaukasus, genauer gesagt in Karatschai-Tscherkessien, einer der „ach so friedlichen“ Regionen des Nordkaukasus. Man kennt das ja: Ein bisschen Gebirge hier, ein bisschen geopolitische Zündschnur da – perfekte Mischung für eine explosive Historie.
Aber hey, es ging ja ganz gut – bis die Sowjets kamen. 1943 hatten die sowjetischen Behörden eine brillante Idee (Ironie off): „Lasst uns doch einfach das ganze Volk deportieren!“. So geschehen. Die Karaçay-Türken wurden als angebliche Nazi-Kollaborateure nach Zentralasien verschifft, ob sie wollten oder nicht. Die sowjetische Bürokratie war da recht effizient – auch wenn das Wort „effizient“ hier den gleichen Beigeschmack hat wie „freundlicher Hai“.
Die Sowjet-Logik: „Du bist schuldig, weil ich es sage.“
Wenn Sie dachten, Kafka sei kompliziert, dann halten Sie sich fest. Die Anklage der Sowjets gegen die Karaçay-Türken könnte glatt als Vorlage für einen absurden Theaterklassiker dienen. Anklagepunkt? Kollaboration mit den Nazis. Beweis? Nichts. Es war die Zeit, in der Stalin dachte, „kollektive Schuld“ sei ein praktisches Konzept, vor allem wenn die Bevölkerung sowieso keine Verteidigung einlegen durfte.
Also wurden die Karaçay-Türken mit Zügen (natürlich ohne Rückfahrkarte) nach Kasachstan und Kirgisistan verschickt. Wäre Netflix damals schon aktiv gewesen, hätte man die Serie „Deportation Diaries“ locker über 10 Staffeln ziehen können. Tragik, Drama, Verrat – alles drin.
Die Reise ins Ungewisse war für viele tödlich. Man muss sich das mal vor Augen führen: Ein ganzes Volk wird umgesiedelt, als wäre es eine Möbelkollektion von IKEA, die bei der falschen Adresse abgeladen wurde. Aber diese Möbel fangen an zu frieren, zu hungern und zu sterben.
1957 – Die Rückkehr der „Unbequemen“
Nach 14 Jahren Zwangsurlaub in Zentralasien hieß es plötzlich: „Ach, kommt doch zurück!“. Die Sowjetunion hatte einen „Gnadenakt“ beschlossen, als wäre es eine nette Geste des Chefs, den Betriebsausflug nach 14 Jahren Zwangsarbeit zu beenden. Aber die Rückkehr war alles andere als feierlich.
Die Häuser? Besetzt. Die Felder? Besetzt. Die Nachbarn? Keine guten Freunde mehr. Man stelle sich vor, Sie kommen nach Jahren nach Hause und der Nachbar sitzt in Ihrer Küche, isst Ihr Essen und fragt: „Warum bist du eigentlich hier?“ Kein Willkommenskomitee, keine Girlanden. Stattdessen die Botschaft: „Findet euch selbst zurecht, wenn ihr könnt.“
Gegenwart: Vom Kaukasus in die Welt (aber diesmal freiwillig)
Nach den ganzen Deportationen, Rückkehr-Desastern und einem Geschichtsunterricht, der nach einer Seifenoper klingt, gibt es heute wieder eine Heimat für die Karaçay-Türken. Sie leben vor allem in Karatschai-Tscherkessien, aber auch in der Türkei, Deutschland und den USA. Überall dorthin, wo Menschen mit einer „Ich-lass-mich-nicht-unterkriegen-Mentalität“ gerne gesehen sind.
Denn machen wir uns nichts vor: Wer es durch die Mühlen von Deportation, Unterdrückung und kulturellem Überleben schafft, der bringt die Art von Resilienz mit, die jeden Karriereberater vor Neid erblassen lässt.
Und was lernen wir daraus?
Dass Völker wie die Karaçay-Türken keine Opferrolle akzeptieren. Sie werden herumschubst, verbannt, entrechtet – und stehen am Ende trotzdem auf, mit erhobenem Kopf. Der Begriff „Stehaufmännchen“ ist dagegen ein Witz.
Und heute? Man könnte meinen, die Karaçay-Türken hätten nach all den historischen Wendungen genug von Roadtrips. Weit gefehlt. Freiwillig leben viele von ihnen heute verstreut in der Türkei, in Deutschland und in anderen Teilen der Welt. Aber diesmal mit Koffern, die sie selbst gepackt haben – nicht von Sowjetbeamten.
Was ist Heimat?
Die Geschichte der Karaçay-Türken ist wie ein bittersüßer Film: epische Bilder, tragische Wendungen und ein Publikum, das sich am Ende fragt: „Und was jetzt?“ Doch diese Menschen haben gezeigt, dass Heimat nicht nur ein geografischer Punkt ist. Heimat ist, was man selbst mitbringt – im Herzen, im Kopf und im Koffer.
Und wenn Ihnen jemals jemand sagt, dass Völkerwanderungen eine Sache der Vergangenheit sind, zeigen Sie ihm die Geschichte der Karaçay-Türken. Sie sind der Beweis, dass Heimat nicht ein Ort ist, an dem man ankommt, sondern einer, den man mit sich trägt – egal, wie oft man umzieht.
Ach ja, und wenn Ihnen jemand vorschlägt, mal „spontan auf Reisen zu gehen“, denken Sie daran: Es gibt Völker, die dabei nicht gefragt wurden.