Wenn Diktatoren fallen, wird gefeiert – jedenfalls für eine Weile. Doch was passiert, wenn die Euphorie verflogen ist und das Chaos seinen Platz einnimmt? Willkommen zu einer neuen Runde geopolitischer Schachzüge, bei der die Figuren immer die gleichen sind – nur der König ist gefallen.

Der Sturz des Unverrückbaren

Und plötzlich war er weg. Baschar al-Assad, der ewige Präsident, das „unzerstörbare“ Bollwerk gegen „Terrorismus“ (seine Lieblingsbezeichnung für alles, was nicht ihm gehorchte), hat sich verabschiedet – Richtung Moskau, versteht sich. Die Nachrichtenagenturen überschlagen sich: Rebellen in Damaskus, Menschen feiern auf den Straßen, das Regime am Boden. Ein Finale, das nach 13 Jahren Bürgerkrieg längst überfällig war – aber niemand hatte ernsthaft damit gerechnet, dass es tatsächlich passieren würde.

Assad ist weg. Einfach weg. Eine Generation Syrer, die nichts anderes als seine Fernsehansprachen und die omnipräsenten Porträts des „Löwen“ (ja, so nannte er sich) kannte, wird zum ersten Mal in ihrem Leben ein Land ohne sein Gesicht auf den Wänden sehen. Allein das hat Hollywood-Potenzial – nur ohne Happy End-Garantie.

Wer hat den Sieg eigentlich „verdient“?

Der Westen jubelt, aber mit verhaltener Stimme. Natürlich ist es schön, wenn ein „Diktator“ fällt – das ist moralisch sauber, gut für die Pressefotos und gibt Anlass zu offiziellen Statements mit Floskeln wie „Unterstützung des syrischen Volkes auf dem Weg zu Frieden und Demokratie“. Die CIA-Redenschreiber müssen sich die Finger wund getippt haben.

Doch der Blick auf die „Befreier“ lässt selbst den wohlmeinendsten Diplomaten nervös auf seiner Krawatte kauen. Denn es sind nicht die idealisierten „moderaten Rebellen“, die den Palast gestürmt haben. Nein, es sind Gruppen mit klingenden Namen wie Hayat Tahrir al-Scham (HTS) – ja, die gleichen Jungs, die noch vor Kurzem auf westlichen Terrorlisten standen. Aber hey, der Feind deines Feindes… naja, ihr kennt den Spruch.

Die neue „Befreiung“ sieht also eher aus wie ein Führungswechsel als ein Paradigmenwechsel. Die Macht ist weg vom Assad-Clan – und liegt jetzt bei Milizen, die ihre eigene Agenda verfolgen. Willkommen im syrischen „Game of Thrones“, Staffel 2.0, in dem es keinen Jon Snow gibt, der das Chaos wieder ordnet.

Was macht Russland? – Spoiler: Meckern

Russland, der große Patron Assads, hat den Moment wohl kommen sehen, auch wenn Moskau offiziell den Überraschten spielt. Natürlich wurde Baschar in den Kreml eingeflogen – immerhin will man die Marionette, die man jahrelang am Leben hielt, nicht einfach von den Rebellen an die Wand stellen lassen. Putin mag vieles sein, aber er ist loyal zu seinen Freunden – solange sie nützlich sind.

Aber mit welchem Gesicht steht Russland jetzt da? Jahrelang verteidigte es das Assad-Regime in den UN-Sitzungen mit Veto um Veto – und jetzt? Jetzt schaut man hilflos zu, wie seine „Festung Syrien“ von Milizen zerschlagen wird, die russische Jets noch vor wenigen Jahren bombardierten. Das ist die Art von Ironie, die nur die Geopolitik beherrscht.

Natürlich wird es nun viele kluge Analysen geben. Russland „verliert an Einfluss“, hört man die Think-Tank-Experten orakeln. Aber Vorsicht: Russland hat nicht die Angewohnheit, einfach so zu verschwinden. Auch wenn es momentan so aussieht, als hätte Moskau die Partie verloren, denken Putins Strategen in Dekaden, nicht in Wochen.

Die westliche Heuchelei: Daumen hoch – aber auf Abstand

Und dann der Westen. Ach, der Westen. Seit Jahren klatscht man von der Tribüne, ohne auch nur einen Fuß aufs Feld zu setzen. Klar, Assad war der Böse. Klar, die Bevölkerung hat gelitten. Aber wer hat die Rebellen unterstützt, mit Waffen versorgt und dann, als es brenzlig wurde, stillschweigend den Rückzug angetreten? Genau.

Nun also der nächste Anlauf: Die USA versprechen „Hilfe beim Aufbau der Demokratie“. Wer das schon mal gehört hat, darf sich melden – es klang ähnlich in Afghanistan, Irak, Libyen… Wir alle wissen, wie diese Geschichten enden. Da sind nicht mal Spoiler-Warnungen nötig.

Auch die EU wird sicher wieder „besorgt“ sein, was sie am besten kann. Vielleicht wird sogar eine „Syrien-Konferenz“ einberufen, bei der Politiker stehend applaudieren, während ein Friedensplan verabschiedet wird, den niemand einhält. Klingt zynisch? Ja. Klingt realistisch? Noch mehr.

Und was bleibt?

Jetzt, da Assad weg ist, werden viele sich fragen: War es das wert? Der Krieg hat über 500.000 Menschen das Leben gekostet, Millionen in die Flucht getrieben und eine ganze Region destabilisiert. Die „neue“ Macht – also die Rebellen – werden wohl kaum ein großes Friedensfestival veranstalten. Stattdessen erwartet Syrien ein Machtkampf der Milizen, die sich gegenseitig belauern, bewaffnet bis an die Zähne.

Syrien bleibt ein Scherbenhaufen. Und die internationalen Akteure? Die beobachten es aus sicherer Entfernung. Was auch immer dort passiert, ist „bedauerlich“, „tragisch“ und „komplex“. Man wird humanitäre Hilfe ankündigen, die von lokalen Warlords abgefangen wird, und dann nach einem Jahr wieder einen neuen Schuldigen suchen.

Die Syrer selbst? Sie werden weiterleben müssen, so wie sie es immer getan haben – nur diesmal ohne Assads Fratze an den Mauern. Das ist ein Anfang. Aber ein Anfang wovon?

Die Pointe: Wer gewinnt, wenn ein Diktator fällt?

Jeder stürzt irgendwann – das ist das Gesetz der Macht. Aber wenn man das Fegefeuer der Diktatur verlässt, landet man nicht automatisch im Paradies. Manchmal landet man in der Vorhölle. Syrien steht genau dort.

Doch die westliche Welt hat selten den Mut, diese unbequeme Wahrheit auszusprechen. Lieber hält man sich an die simplen Narrative: Gut vs. Böse, Freiheit vs. Diktatur. Dass die „Befreier“ keine Freiheitsengel sind, stört niemanden, solange das gewünschte Ergebnis erreicht wird.

Und Assad? Er sitzt jetzt in Moskau, vielleicht auf einem Sofa aus italienischem Leder, trinkt Tee und schaut russische Nachrichten. Ironischerweise könnte er dabei mehr über sein eigenes Schicksal erfahren, als er je in Damaskus erfuhr.

Und am Ende des Tages stellt sich die Frage: Was war das alles wert? War der Krieg die Kosten wert, die Zerstörung, die Leben? Oder wird man in 20 Jahren auf diese Zeit zurückblicken und feststellen, dass die Weltgemeinschaft wieder einmal einen Diktator ausgetauscht hat – ohne das System zu ändern?

Aber keine Sorge: Bis dahin gibt es neue Konflikte, neue Diktatoren, neue Friedenskonferenzen – und das Publikum wird immer dasselbe bleiben. Denn nichts liebt die Welt so sehr wie den Sturz eines Tyrannen – und die Bequemlichkeit des Wegschauens danach.

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Als Integrationsblogger gründete ich 2010 diesen Blog, inspiriert durch die Sarrazin-Debatte. Geboren 1977 in Dortmund als Kind türkischer Einwanderer, durchlebte ich vielfältige Rollen: vom neugierigen Sohn zum engagierten Schüler, Breakdancer, Kickboxer, Kaufmann bis hin zu Bildungsleiter und Familienvater von drei Töchtern. Dieser Blog ist mein persönliches Projekt, um Gedanken und Erlebnisse zu teilen, mit dem Ziel, gesellschaftliche Diversität widerzuspiegeln. Als "Integrationsblogger" biete ich Einblicke in Debatten aus meiner Perspektive. Jeder Beitrag lädt zum Dialog und gemeinsamen Wachsen ein. Ich ermutige euch, Teil dieser Austausch- und Inspirationsquelle zu werden. Eure Anregungen, Lob und Kritik bereichern den Blog. Viel Freude beim Lesen und Entdecken!

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