Zwei Begriffe, die in einer Diskussionsrunde eingebracht, schnell die Wogen höher schlagen lassen sind „Antisemitismus“ und „Antiislamismus“. Der letztere kommt gerne euphemistisch daher und nennt sich „Islamkritik“. Wobei  der erstere deutlich die „Jokerposition“ inne hat, denn zur Zeit scheint jeder unter Generalverdacht zu stehen: Die „Linken“ , so heißt es, sind antisemitisch, die „Rechten“ sind es sowieso und das bürgerlich- rechtspopulistische Lager versteckt seinen Antisemitismus hinter unverhohlener  sogenannter Islamkritik und einer Pro-Israel- Position, getreu dem Motto:“ Der Feind meines Feindes sei mein Freund“ und werfen dazu den Muslimen vor, antisemitisch zu sein.

Wie aber nun verhält es sich tatsächlich mit dieser Annahme, auf die jeder PI-ler, Geert Wilders Fan und Anhänger der Partei von „Die Freiheit“ sich berufen?

Der erste Blick auf das Judentum und den Islam zeigt, dass sich viele Bräuche und Riten ähneln: Reinheitsgebote der Speisen (koscher/halal), Beschneidung, tägliche Gebete, die eingehalten werden müssen, um Gott zu ehren und das genaue Befolgen von Regeln und Riten, um Gott zu dienen.

In diesen Punkten ihrer Religionsausübung und der Vorstellung von Gott als „unteilbarer Einziger“, ist das Judentum näher an den Islam gebunden als es jene Christen, die sich beständig auf die „jüdisch-christliche Tradition des Abendlandes“ berufen, um damit den Islam auszugrenzen, lieb sein kann.

Dennoch trafen die beiden Religionen zuerst nicht friedlich aufeinander.  Anfänglich war Muhammad, der Prophet, den Juden zugeneigt. Nachdem Muhammad in der Medina angekommen war, schloss er mit den dortigen Bewohnern die „Verfassung von Medina“. Doch sah sich die Medina immerzu Angriffen von außerhalb ausgesetzt. Um die Medina zu schützen, wurde ein tiefer Graben ausgehoben. Es kam zur Grabenschlacht, angeführt von den Quraisch. Im Verlauf kam es zu Auseinandersetzung  mit den 3 jüdischen Stämmen Yathribs (Medina), denen Verrat gegen Muhammad vorgeworfen wurde: Banu Qainuqa, Banu Nadr und Banu Quraiza. Unter dem Befehl von Sa’d ibn Mu’adh, der Führer des arabischen Stammes der Banu Aus, wurden die Männer der Banu Quraiza für ihren Verrat hingerichtet. In der Folgezeit jedoch wurden die Juden anerkannt als „Besitzer der Schriften“ und wurden zu Schutzbefohlenen unter den Muslimen. Sie wurden „dhimmi“ genannt. Zwar war es ihnen nicht erlaubt zusammen mit Muslimen zu baden, Pferde und Kamele zu reiten und Synagogen zu bauen, aber in der Hadith  heisst es :“ Wer einen dhimmi verletzt, hat mich verletzt und wer mich verletzt, hat Allah verletzt.“

Später, im 9. Jahrhundert,  kam es zu einer Kennzeichnungspflicht für Juden(das Tragen von gelben Kapuzen oder Gürteln), um religiöse Mischehen zu unterbinden, zu denen es offensichtlich häufig gekommen war.

Zunehmend wurde es für die Juden aber in den christlichen Ländern gefährlich. Als 711 der arabische Heerführer Tariq bin Ziad über Gibraltar auf die iberische Halbinsel kam, wurde das Leben der Juden dadurch erleichtert. So begrüßten sie auch die muslimischen Eroberer in Nordafrika, Persien und Byzanz.  Da die meisten Juden die arabische Sprache beherrschten, begünstigte dies eine gemeinsame Basis für den Handel und die Weiterentwicklung der Wissenschaften. Es kam zu einer Blütezeit von Handel, Wissenschaft und Kunst. Unter der Reconquista der Christen wurden die Rechte und der Einfluss von Muslimen und Juden zurückgedrängt und das Zeitalter „Al Andalus“ endete 1492  durch Ferdinand von Aragon.

Viele dieser sefardischen Juden und viele Muslime flohen in das neue osmanische Reich und brachten medizinisches  und technisches Wissen, Finanz- und Handelskontakte sowie Vermögen mit. Die Sultane wussten das sehr zu schätzen, hatten sie auch schon zuvor 1470 die vertriebenen Juden aus Bavaria aufgenommen. Später kamen noch die aschkenasischen Flüchtlinge aus Osteuropa dazu. In Persien, im Irak und im osmanischen Reich kam es zu einem toleranten und friedlichen Miteinander. Allein im osmanischen Reich lebten circa 400 000 Juden.

Während der Judenverfolgung  in der nationalsozialistischen Zeit, zeigte sich die türkische Regierung aber eher „pro-deutsch“ , doch war sie nie ein „antisemitisches Land“.  In Deutschland wurde deshalb 1936 die „Deutsch-muslimische Gesellschaft“ in Berlin verboten mit der Begründung, dass dieser zu viele Juden angehörten. Viele europäische Künstler und Wissenschaftler emigrierten in die Türkei, darunter auch nicht-jüdische Regimegegner. Selahattin Ülkümen, damaliger Generalkonsul von Rhodos, rettete über 200 Juden vor dem Zugriff der Deutschen, indem er ihnen türkische Pässe ausstellte und wurde später dafür in Yad Vashem als einer der Gerechten geehrt. Der Generalkonsul von Marseille, B. Erkin, bestieg einen Deportationszug und erzwang damit die Freilassung  aller Juden in diesem Zug. Schon davor stellten seine Kollegen Numan Menemencioğlu, Botschafter in Paris und Namik Kemal Yolga, bekannt als der „türkische Schindler“ und Vizekonsul in Paris, für verfolgte Juden türkische Pässe aus. Es wird angenommen, dass circa 100 000 Juden so die Flucht in und über die Türkei gelang. Trotzdem konnte die Türkei die Deportation vieler Tausend Juden, die ehemals einen türkischen Pass besessen hatten und in anderen europäischen Ländern lebten, in die Vernichtungslager nicht verhindern. 1942 führte eine rigide Vermögenssteuer für Minderheiten, die „Varlık Vergisi“ dazu, dass viele türkische Juden nach Palästina auswanderten. Doch lebten in der Türkei bis 1948 circa noch 120 000 Juden.

Heute scheint der Frieden durch den Konflikt und den Auseinandersetzungen zwischen Palästina und Israel gestört zu sein. Die Besiedlung der Juden in Palästina und der Krieg nach der Gründung des Staates Israel verschärfte die Positionen und breitete sich überregional aus. Radikale Gruppierungen auf beiden Seiten führten dazu, dass die politischen Missstände in den religiösen Glauben mit einbezogen wurden und bis heute immer weiter missbraucht werden.

Diese radikalen Positionen von der einen, wie von der anderen politischen Front, vergiften den Diskurs.

Radikale Positionen finden sich leider auch zunehmend in Deutschland und greifen auf die von mir eingangs erwähnten politischen Lager zu. Sie treiben gefährliche rassistische „Blüten“. Der Nahostkonflikt wird für ihre eigenen politischen  Ziele instrumentalisiert.

Wir, Juden und Muslime, sollten uns nicht instrumentalisieren lassen! Wir sollten uns an unsere gemeinsame Geschichte erinnern und sollten gemeinsam widerlegen, was jene hetzenden Meinungsmacher, wie sie uns in PI begegnen, über uns behaupten. Und wir dürfen uns von  rechtspopulistischen Parteien und islamphobischen Journalisten nicht in Ecken „schreiben lassen“, in denen wir nicht stehen wollen!

Share.

Irena Wachendorff, Diplommusikerin und Lyrikerin, ist jüdischen Glaubens und Mitglied in mehreren Friedensorganisationen in Israel. Sie unterstützt den ersten arabisch-jüdischen Waldorfkindergarten "EIN BUSTAN" in Israel in der Nähe von Haifa, und ist 1. Vorsitzende des Vereins "Ein-Bustan", in dem es um ein gleichberechtigtes Miteinander von arabischen und jüdischen Kindern geht, unter Einbehaltung der jeweiligen Religion und ihrer Riten, Sitten und ihrer eigenen Kultur.

Comments are closed.