Bildquelle: Stefan Böttcher | CC BY 3.0 | via Wikimedia Commons

Arbeitgeber in Deutschland suchen händeringend nach Arbeitern. Es gäbe einen Fachkräfte- und Arbeitermangel, heißt es. Eine Fachkraft ist übrigens zum Beispiel schon eine Mitarbeiterin bei Burger King. Hauptsache ist, dass ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in den zahlreichen Debatten beschworen wird. Es wird sogar über Rekordbeschäftigung gesprochen.

Parallel dazu suchen qualifizierte Arbeiternehmer verzweifelt einen Job. Viele sind zudem bereit, weit unter ihrer Qualifikation zu arbeiten, für niedrige Löhne, damit sie nur eine Beschäftigung bekommen.

Arbeitgeber behaupten, dass die Arbeitnehmer in Deutschland nicht die Qualifikationen besitzen, die sie benötigen. Man fragt sich, was das denn für Qualifikationen sind, die man unter über 2,7 Millionen Arbeitslosen und weiteren fast eine Million Unterbeschäftigten angeblich nicht findet. Anscheinend kann man sich diese Qualifikationen auch nicht aneignen, obwohl im 21. Jahrhundert Arbeitsprozesse sehr mechanisch und repetitiv ablaufen.

Arbeiter müssen importiert werden?

Die einzige Lösung, die Arbeitnehmer und ihre Unterstützer sehen, ist, passende Arbeitnehmer zu importieren. Selten wird in diesem Zusammenhang erwähnt, dass Arbeitgeber nicht bereit sind, aus welchen Gründen auch immer, Arbeitnehmer adäquat zu kompensieren. Deshalb sind Menschen aus dem Ausland, mit limitiertem Aufenthalts- und anderen Rechte für solche offene Arbeitsstellen eher geeignet als Inländer.

Der demografische Wandel ist ein Fakt. Im Moment gibt es für viele dieser offenen Stellen jedoch genug Arbeitnehmer im Inland, die man beschäftigen könnte. Mit gut ausgebauten Trainingprogrammen kann man die meisten Tätigkeiten effizient erlernen.

Macht der Arbeitgeber – Machtlosigkeit der Arbeitnehmer

Die ständigen Bestätigungen, dass es zahlreiche offene Arbeitsstellen gibt, aber gleichzeitig Menschen, die verzweifelt nach einer Arbeit suchen und nicht eingestellt werden, verstärkt das Gefühl der Machtlosigkeit der Arbeitsuchenden und wirkt sich negativ auf deren Psyche aus, während sie die Macht der Arbeitgeber untermauern.

Bildungsstand steigt kontinuierlich

“In the 1930s hardly any manual labor jobs required a high school diploma. By the early 1980s, the majority of skilled manual jobs required a diploma for entry, and about a quarter called for some post-secondary certification. […] Even to push a broom in a steel mill, you now need to have a diploma […]. The credential society has definitely arrived.”

D.W. Livingstone, Autor und Professor an der Ontario Institute for Studies in Education, Universität von Toronto, behauptet, dass man inzwischen sogar einen Abschluss bräuchte, um in einer Stahlmühle kehren zu dürfen. Während Arbeitnehmer fehlende Qualifikationen beklagen, steigt der Bildungsstand tatsächlich kontinuierlich. Von Schülern wird immer mehr erwartet. Kinder kommen früher in frühkindliche Erziehungsmaßnahmen. Immer mehr Schüler machen z.B. das Abitur und immer mehr Menschen nutzen Weiterbildungsangebote.

Ähnliche Entwicklungen sehen wir in anderen Ländern wie den USA. Obwohl Weiterbildung dort mit extrem hohen Kosten verbunden ist, investieren viele in solche Maßnahmen – auch, wenn es nur darum geht, die Arbeitslosigkeitsphase zu überbrücken.

Qualifikationen helfen aber wenig, wenn eine strukturell chronische Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vorliegt, die es in fortgeschrittenen industrialisierten Ländern laut D.W. Livingstone seit 1970 gibt. Fakt ist, dass es weniger Arbeitsstellen gibt als Absolventen, die die zahlreichen Bildungseinrichtungen produzieren. Deshalb führen Abschlüsse, Trainingszertifikate und Kredentialien nicht unbedingt zu einer adäquaten Beschäftigung.

Wenn Arbeitnehmer trotz fleißiger Qualifikationen und Weiterbildung keine adäquate oder, wie in vielen Fällen, auch nur “irgendeine” Stelle finden, reden sich Verantwortliche aus der Situation heraus in dem sie behaupten, dass (hoch-)qualifizierte Absolventen die “falschen” Abschlüsse hätten. Auf dem Arbeitsmarkt scheinen Arbeitsuchende nicht gewinnen zu können. Egal was sie tun.

Niedriglöhne trotz Berufsausbildung und Vollzeitbeschäftigung

Die schlechte Arbeitsmarktlage, zumindest aus der Sicht der Arbeitnehmer, spiegelt sich überdies in den Löhnen wieder. Das Einkommen ist zwischen 2012 (36 897) und 1998 (36 780) kaum gestiegen. Im Durchschnitt werden nur noch 60{29198b972399c81ed5054510dfa220ef2abbd08e78f3050c7d7070df681d4040} der Beschäftigten in Westdeutschland und 48{29198b972399c81ed5054510dfa220ef2abbd08e78f3050c7d7070df681d4040} in Ostdeutschland nach Tarif bezahlt. Es gibt 1,3 Millionen “Aufstocker.” Ein Viertel aller Beschäftigten in Deutschland beziehen einen Niedriglohn von weniger als 9,54 Euro brutto pro Stunde, obwohl 80 Prozent der Geringverdiener eine Berufsausbildung haben. Das Niedriglohnrisiko ist “zwischen 2001 und 2011 am stärksten für Beschäftigte mit abgeschlossener Berufsausbildung […] und nach Arbeitszeitform für Vollzeitbeschäftigte” gestiegen.

Das sind kaum die Zustände, die man mit einer “guten Arbeitsmarktlage” verbindet. Wenn es Arbeitskräftemangel in dem Ausmaß, wie behauptet wird, gäbe, müssten Arbeitgeber die Löhne erhöhen und eventuell auch weitere Anreize bieten, damit sie den Wettbewerb um die angeblich knappen Arbeitskräfte gewinnen können.

Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit sind für viele Betroffene mit immensem Leiden verbunden.

“The current employment situation entails an enormous waste of resources and an unacceptable level of human suffering. It has led to growing social exclusion, rising inequality between and within nations and a host of social ills. It is thus both morally unacceptable and economically irrational. –Michael Hansenne, Director-General, International Labor Office, 1995, 93.”

Dieses Statement gilt zwanzig Jahre danach genauso wie 1995. Arbeit ist nicht nur ein Mittel, um den Lebensunterhalt zu sichern. Sie ist ebenso ein wichtiger Teil der Identität. Wenn Arbeitsuchende, egal was sie tun, nicht in der Lage sind, eine mehr oder weniger adäquate Arbeit zu finden, ist das menschliche Leiden enorm.

Ohne Arbeit und realistische Entlohnung ist die Teilhabe vieler Menschen am gesellschaftlichen Leben gefährdet. Wenn so viele Menschen aus ökonomischen Gründen am gesellschaftlichen Leben nicht teilhaben können, ist auch die Demokratie gefährdet.

Zukunft der Arbeit: weniger Arbeitsstellen

Es gibt kaum Anzeichen dafür, dass Politiker und andere Verantwortliche eine Lösung für das Leid vieler arbeitsloser und unterbeschäftigter Menschen finden werden. Zugegeben, die Lösungen für das Problem „Knappheit von Arbeit“ ist nicht einfach, da es in Zukunft eher sogar noch weniger als mehr Arbeitsstellen geben wird. Das Erkennen dieses dringenden Problems und eine ehrliche Debatte darüber wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Aber nicht einmal das findet statt. Stattdesssen rühmen sich viele Politiker und andere Verantwortliche mit einem täuschenden Bild von der Situation, die sie und die Medien zu verantworten haben.

In einer Demokratie sollte es um die Interessen des Volkes gehen. Die Staatsgewalt, also die Macht, sollte vom Volke ausgehen. Leider hat der heutige Arbeitsmarkt kaum etwas mit einer Demokratie zu tun. Investoren und ihre Interessenvertreter haben die Macht und der Durchschnittsbürger muss sich ihren Interessen unterordnen, weil ihm nichts anderes übrig bleibt. Es gibt wenig Aussicht, dass der Status quo sich in der nahen Zukunft ändern wird.

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Die Verfasserin ist geborene Fürtherin. Sie hat ein Abitur vom Dürer-Gymnasium in Nürnberg; einen Bachelor in Allgemeine Geisteswissenschaften und einen Master in Öffentliche Verwaltung vom Western Michigan University. Sie ist im Jahre 1998 in die USA ausgewandert und lebt seit 2011 wieder in Deutschland. Sie sitzt im Vorstand der internationalen gesellschaft für diversity management (idm). Sie hat ihr eigenes Blog (http://diversitygermany.blogspot.de/) wo sie Artikel über Diversity, Anti-Diskriminierung, Chancengleicheit und ähnliche Themen veröffentlicht.

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