Ich konnte in den letzten Tagen gar nicht so schnell das Radio ausstellen, wie die Meldungen über den Stand der Dinge in Sachen GroKo durch den Lautsprecher säuselten. Unzählige Menschen trafen sich in den letzten Wochen unzählige Stunden, um sich unzähligen Themen zu widmen. Vielleicht ein bisschen wie bei „Thanksgiving“, wo man sich bei gutem Essen mit der ganzen Familie zusammensetzt, um sich wunschzettelmäßig schon einmal auf das Weihnachtsfest vorzubereiten. Die GroKo ist da – und das ödet mich so ungeheuer an, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie ich die nächsten vier Jahre die Tagesschau ertragen soll. Wenigstens gibt es noch die „Heute Show“.

Vielleicht proben die Rentner an der SPD-Basis einen kleinen Aufstand im Altenheim und sagen ganz einfach einmal NEIN. Aber am Ende werden sie sich doch von den Parteioberen einschüchtern lassen, die jetzt schon um ihre Regierungsposten schwitzen. Bei Sigmar Gabriel kann man sich das lebhaft vorstellen, der sich schon als Vizekanzler sieht. Bereits vor Jahren haben die Genossen klaglos Hartz IV geschluckt wie die grüne Klientel Kriegseinsätze – warum jetzt also nicht diesen Koalitionsvertrag, bei dem jeder einmal „Wünsch Dir was“ spielen konnte? Eine Idee, wie das Land in den nächsten Jahren aussehen könnte? Fehlanzeige. Finanzierbarkeit der Projekte? Was ham wir gelacht. Aber trotzdem soll es, irgendwann mal, stabile Haushalte geben. Wer an den Schuldenstopp dieser Koalition glaubt, dem ist wahrlich nicht mehr zu helfen.

Seit Heinrich Mann den „Untertan“ geschrieben hat, hat sich in Deutschland gar nicht so viel verändert. In den Parteien spricht man bereits von einer Kampfkandidatur, wenn es ein Zweiter wagt, anzutreten. Wenn sich jemand eine andere Meinung in einer Regierungskoalition erlaubt, dann wird gleich von einer veritablen Regierungskrise gesprochen. Verknöcherte Gewerkschaftsfunktionäre sorgen in den Betrieben dafür, dass kein Grünschnabel einfach neue Regeln erfindet. An deutschen Gerichten geht es immer noch so obrigkeitshörig wie unter Kaiser Wilhelm zu. Schüler werden wie seit hundert Jahren in den 45-Minuten-Takt gepresst und wissenskonditioniert. Ja, die GroKo mag beim Volk sehr beliebt sein – ich wünschte, es wäre anders. Ich wünschte, Meinungsverschiedenheiten könnten als Chance begriffen werden. Wie wäre es, wenn man neue Ideen nicht als Bedrohung, sondern als Chance zur Veränderung begreifen könnte? Vielfalt ist nichts Schlimmes.

Die Linke als größte Oppositionspartei – wer hätte das gedacht?

In der Tat: Ab 1966 gab es das erste Mal in Deutschland eine GroKo. Damit wurde allerdings auch die Schuldenrepublik Deutschland eingeläutet und an den politischen Rändern tummelten sich damals rechts wie links die Spinner, weil beim Gleichsprech jede Stimme heraushörbar wird, die eine andere Färbung hat – selbst, wenn sie Dinge im Sinn hat, die eigentlich niemand so wirklich möchte. 80{29198b972399c81ed5054510dfa220ef2abbd08e78f3050c7d7070df681d4040}Parlamentsmehrheit finde ich persönlich grauslig.

Demokratie funktioniert nur mit Kontrolle. Und Opposition ist Kontrolle. Dass die größte Oppositionspartei in einem freigewählten Bundestag nun ausgerechnet die Linke ist, das hatte Gregor Gysi schon am Wahlabend erstaunt. Dass 23 Jahre nach Ende der Wende ausgerechnet seine Partei die Opposition in der Bundesrepublik anführe, hätte niemand gedacht. Stimmt, ich auch nicht.

Die Grünen nehmen längst der FDP die Funktion als Lobbypartei der Besserverdienenden ab. Die Klientel der Grünen lebt von den ideologisch motivierten Subventionen – von Windkraft bis Ganztagsbetreuung –, die auch von der GroKo nicht angegriffen werden.

Meine Prognose: Politisch wird in Berlin Beamtenmikado gespielt werden: Wer sich zuerst bewegt, verliert. Die ersten zwei Jahre findet man sich, und macht deshalb nichts. Die nächsten zwei Jahre dienen der Akzentuierung der eigenen Position. Deshalb wird dann auch nichts entschieden werden. In einer gesellschaftspolitischen, wie ökonomischen Umbruchphase brauchen wir nicht so sehr Stabilität, sondern Ideen und Visionen.

GroKo macht Kompromiss zum Prinzip

Wie lösen wir unser Integrationsproblem? Glaubt einer, bei einem Kompromiss zwischen den Positionen von SPD und CSU würde es hier neue Ideen geben? Stattdessen wird Innenminister Friedrich, oder wie er dann auch immer heißen mag, weiter auf Zwangsassimilierung machen. Die passt dann am Ende auch bestens zum manischen Konsenszwang in der Politik.

Die Einwanderungsgesellschaft wird wiederum von der SPD beschworen werden, ohne allerdings eine Idee zu vermitteln, wie es dann weiter gehen soll. Die Konfliktlinien sind abzusehen – vor allem im Verbund mit einem vermutlich zum Scheitern verurteilten NPD-Verbotsverfahren, das diese Partei am Ende in den Märtyrerstatus heben und damit stärken wird. Auch die Linke wird als Sieger aus der GroKo gehen.

Wo bleiben die europäischen Ideen, wo die Frage nach der Bedeutung des Staates im 21. Jahrhunderts oder der Entwicklung der freiheitlichen Gesellschaft? GroKo ist Stillstand. Kompromiss ist zwar bei einzelnen Entscheidungen des Lebens wichtig. Kompromiss darf aber kein Prinzip werden. Die einzige Hoffnung, die noch etwas realistischer wäre, als auf die SPD-Basis zu hoffen: Womöglich bilden sich an der gesellschaftlichen Basis neue demokratische Strukturen einfach an den Parteistrukturen vorbei – im Bereich der Integration ist das schon deutlich zu spüren. Denn am Ende müssen die Menschen nicht auf den großen Konsens der Politik warten, sondern können ihr Leben selbst in die Hand nehmen.

 

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Ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er studierte Deutsch, Geschichte und Politik in Göttingen und war acht Jahre lang Lehrer an einer Waldorfschule. Als Publizist und Politiker arbeitete er viele Jahre im extrem rechten Milieu. Im Juli 2012 stieg er aus dieser Szene aus. Seitdem engagiert sich Molau in Sachen Extremismusprävention bei Seminaren, Vorträgen und in Aufsätzen. Heute ist er selbstständig für das Textbüro dat medienhus tätig.

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