Eine gepflegte Eröffnungsfeier, eindrucksvolle neue Sportstätten, vor allem aber herausragende sportliche Leistungen, von der 15-jährigen russischen Eiskunstläuferin Julia Lipnizkaja über den polnischen Skispringer Kamil Stoch bis hin zu den Slopestyle-Akrobaten am Snowboard: Bis dato lassen die Olympischen Winterspiele in Sotschikeine Wünsche offen und machen Lust auf mehr.
Und trotzdem überschlagen sich die heimischen Qualitätsmedien in Verwünschungen über die Spiele und deren Ausrichtung und nützen auch schon mal Pausen in Liveübertragungen, um die Zuschauer, die sich auf qualitativ hochwertigen Sport freuen, mit politischen Belehrungen zu belästigen. Und wenn gar nichts mehr sonst funktioniert, jammert man eben über defekte Toilettenspülungen oder erhöhte Hotelpreise – als ob es die in anderen Ländern im zeitlichen Umfeld von Großereignissen nicht genauso gäbe.
Ausgerechnet im Land der BER-Pleite, der Elbphilharmonie und von Stuttgart 21 hat man nichts Besseres zu tun, als in überheblichem Ton ein Sportereignis schlechtzureden, das nicht nur 69{29198b972399c81ed5054510dfa220ef2abbd08e78f3050c7d7070df681d4040} der russischen Bevölkerung begeistert, sondern auch unter den Athleten und Gästen der Veranstaltung bislang als einwandfrei organisiert und gut umgesetzt gilt.
Das Einzige, was zu wünschen übrig lässt, ist die Qualität der Berichterstattung in den deutschen „Qualitätsmedien“ – und die ist so haarsträubend, dass sogar Altkanzler Gerhard Schröder der Kragen platzte und er in der „Zeit“ mit der Äußerung zitiert wurde, diese sei „reichlich unfair“ und: „Das ist ideologisch geprägt und nur sehr selten unvoreingenommen. Da sollten einige, die so berichten, mal neu nachdenken.“
Notorische Russenfeinde im Kampfeinsatz
Diese Mahnung des Altkanzlers wird man sich bei den Angesprochenen indessen kaum zu Herzen nehmen. Schließlich unterscheidet sich ihr Kampagnenjournalismus an Seriosität in Nichts von irgendeinem Werbeportal, das den Auftrag hat, irgendwelche Angebote und Dienstleistungen SEO-optimiert an die Kundschaft zu verkaufen – nur, dass es hier um das Produkt „Russophobie“ und „Hass“ geht.
Präsident Putins Einschätzung, „Notorische Russenfeinde kämpfen berufsmäßig gegen uns“, wäre bei genauerer und unvoreingenommener Betrachtung der hiesigen Medienberichterstattung zum Thema Sotschi selbst dann schwer zu widerlegen, wenn man sich ernsthaft darum bemühen würde. Was man bis dato an Belehrungen und Besserwisserei gegenüber den USA, der Türkei oder Israel aus den deutschen Mainstreammedien und von opportunistischen Politikern kannte, wird durch die permanente Hetze gegen Russland mittlerweile weit in den Schatten gestellt.
Nun ist selbst den Protagonisten des Wilhelminismus 2.0, welche die Ideen Wilhelm Reichs im Stile Wilhelms II. in die Welt tragen und diese am deutschen Wesen genesen lassen wollen, nicht zuzutrauen, dass sie ernsthaft denken, ihre Schaumschlägerei würde auch nur ein Mitglied der russischen Regierung beeindrucken. Aber es stellt sich durchaus die Frage, wie es kommen konnte und was es bedeutet, dass nur knapp mehr als 20 Jahre, nachdem die gleichen Medien Deutschland größtenteils sogar die Wiedervereinigung verweigert sehen wollten, diese sich plötzlich in umso großkotzigerer „Wir sind wieder wer“-Attitüde als Schulmeister der Welt in Szene setzen.
Und es kann nichts Gutes bedeuten. Es deutet darauf hin, als würde man auf einen neuen Kalten Krieg hinarbeiten, nur diesmal mit dem Marxismus im Westen. Oder alte Großreichsträume unter europäischen Vorzeichen wiederbeleben wollen. Und da die demografische Lage in Westeuropa ein militärisches Vorgehen nicht mehr ermöglicht, versucht man, durch Meinungsmache die Hegemonie zu erringen.
„Das Private ist politisch“
Getreu der marxistischen Ideologie darf es dabei keinen Lebensbereich geben, der nicht politisiert wäre. Auch nicht den Sport und auch nicht die Olympischen Spiele. Und Russland ist – neben der Türkei und den USA – nicht zuletzt auch deshalb eines der Feindbilder des westeuropäischen Marxismus, weil alle diese Länder gemeinsam haben, dass die Mehrheit der Bevölkerung jeweils stark religiös ist, weil alle diese Staaten wirtschaftlichen Aufschwung erleben, weil sie den Staat und die Politik und deren Macht gegenüber dem Einzelnen und den Familien beschränken und weil sie alle multinationale, heterogene Staaten und Völker sind, die sich deshalb erfolgreich gegen Gleichmacherei und Uniformisierung gewendet haben.
Vor allem aber wehren sie sich alle auf ihre Weise gegen ideologische Unterwanderung und Gängelung durch marxistische, ökologistische und auf sonstige Weise etatistische NGOs und supranationale Zusammenschlüsse wie EU und UNO. Und das rührt am Ende an die Frage, mit der sich bereits John Fonte vor drei Jahren befasst hatte, als er das Buch „Sovereignty or Submission: Will Americans Rule Themselves or be Ruled by Others?“ schrieb: Wird die Idee der konstitutionellen Demokratie überleben – ob das nun betont libertäre Verfassungen wie die amerikanische oder eher konservative sind wie die Russlands oder der Türkei – oder werden postdemokratische, nicht gewählte oder sogar überhaupt nicht legitimierte Autoritäten immer mehr Macht gewinnen?
Unsere Meinungsmache hat sich festgelegt: Aus ihrer Sicht sollen Greenpeace, das IPCC, „Pussy Riot“, der Chaos Computer Club, die „Ökologiebewegung“, Pro Familia, die Köpfe hinter dem „Bildungsplan 2015“ oder eben „Die Welt“ und ARD die maßgeblichen Autoritäten sein. Im Unterschied zu diesen fehle es nämlich gewählten und verantwortlichen Amtsträgern am „richtigen Bewusstsein“. Und dem viel gescholtenen Kleinbürger sowieso. Was auch der Grund ist, warum man diesen in seinem privaten Lebensbereich wie bei der Kindererziehung, bei der Wahl der richtigen Beleuchtung oder eben auch beim Ansehen der Olympiawettbewerbe nicht alleine lassen darf.
Woran ausnahmsweise nicht Bush schuld ist, ist es Putin
Und deshalb könnten auch die gesamten Olympischen Spiele in Sotschi im Stile einer Disneyworld-Vorführung durchinszeniert sein – sie würden immer noch als die schlechtesten, misslungensten und katastrophalsten aller Zeiten dargestellt werden. Und Putin wird nicht nur für jeden tropfenden Wasserhahn in den Hotels des Austragungsortes, sondern auch für jeden Übergriff, den sich kriminelle Nazis irgendwo in einer Plattenbausiedlung gegen Schwule zu Schulden kommen lassen, höchstpersönlich für verantwortlich erklärt, nur weil die Staatsduma ein Gesetz beschlossen hat, das „homosexuelle Propaganda“ gegenüber Minderjährigen verbietet – so wie die Schulgesetze der deutschen Bundesländer es verbieten, Kindern den Schulzwang zu ersparen. Dass nach der gleichen Logik auch die Mitglieder der deutschen Bundesregierung persönlich verantwortlich für die Verbrechen des NSU wären, weil es in Deutschland Gesetze gibt, welche die Einwanderung beschränken, spielt ja keine Rolle, wenn es darum geht, Agitation im Sinne des Klassenauftrags zu betreiben.
Aber immerhin haben die Qualitätsmedien eines erreicht: Ich habe mich seit meiner Jugend kaum mehr für Wintersport interessiert – und jetzt sehe ich mir wieder ähnlich viele Bewerbe der Olympischen Spiele an wie früher. Anfangs aus bloßer Reaktanz. Mittlerweile aber, weil es Freude und Laune macht, zuzusehen. Und weil Sotschi ein tolles Event ist.