Man mag darüber streiten, welches facebook-Bild des russischen Präsidenten Vladimir Putin am dicksten aufgetragen ist: Die Fotomontage, auf der er stolz auf einem Bären reitend einen Fluss durchquert oder seine Auftritte als „Hippie“, wenn die offizielle russische facebook-Seite ihn mit jener bunt bemalten germanischen Todesrune abbildet, die seit der „Flower Power“-Bewegung im Westen der 60er-Jahre als Friedenszeichen Verwendung findet.
Fakt ist, dass Vladimir Putin sich problemlos auch solche skurrilen und provokativen Inszenierungen leisten kann: Das „Forbes“-Magazin hat ihn noch vor US-Präsident Barack Obama zum „mächtigsten Mann der Welt“ gekürt, und während er in Russland selbst politisch fest im Sattel sitzt, wächst auch in Gegenden der Welt eine bewundernde Fangemeinde heran, in denen man dies nie für möglich gehalten hätte – vor allem auch im Westen.
Natürlich gilt dies nicht für die Eliten. Wenn nicht gerade die USA, die Türkei unter Premierminister Erdoğan, Israel oder der Vatikan ins Visier des deutschen medialen Empörungstremolos geraten, steht regelmäßig Vladimir Putin im Mittelpunkt des Belehrungsdrangs heimischer „Qualitätszeitungen“ oder des scheidenden Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Markus Löning, wenn unabhängige Gerichte in der russischen Föderation betrügerischen Ultranationalisten wie dem Blogger Alexej Nawalny oder gesetzlosem Pöbel wie den „Musikerinnen“ der Gruppe „Pussy Riot“ ihre Grenzen aufzeigen.
Lage Homosexueller hat sich seit dem Ende der Sowjetunion verbessert
Auch die Tatsache, dass die russische Staatsduma mit einer überwältigenden parteiübergreifenden Mehrheit ein Gesetz verabschiedet hat, das Geldstrafen für „Propaganda von Homosexualität unter Minderjährigen“ androht, sorgt in unseren Breiten für teilweise gut gespielte Empörung und eine gerne wahrgenommene Gelegenheit, die Tatsache, dass in Hitlerdeutschland in großer Zahl Homosexuelle durch den Staat ermordet wurden, durch aberwitzige Vergleiche mit der nunmehrigen Gesetzeslage in der Russischen Föderation zu relativieren. Diese Praxis hat nicht zuletzt dem Präsidenten der Föderation der jüdischen Gemeinschaften Russlands, Alexander Boroda, zu sehr deutlichen Worten der Missbilligung gegenüber westlichen Gegnern des russischen Gesetzes Anlass gegeben.
Inwieweit das besagte Gesetz über „Propaganda von Homosexualität unter Minderjährigen“ präzise genug formuliert oder rechtspolitisch geboten oder sinnvoll ist, darüber mag man zweifellos geteilter Meinung sein. Fakt ist aber: Im Unterschied zur Sowjetunion, wo praktizierte Homosexualität 1933 unter Strafe gestellt wurde, ist dies in der heutigen Russischen Föderation nicht der Fall. Es jedoch Präsident Putin anlasten zu wollen, dass es in der russischen Gesellschaft immer noch starke Vorbehalte und sogar gewalttätige Übergriffe von Extremisten gegen Homosexuelle gibt, wäre in gleichem Maße perfide, wie die jahrelange Mordserie der NSU-Terroristen in Deutschland Kanzlerin Angela Merkel anzulasten.
Dass das Vertrauen in nicht unerheblichen Teilen der Bevölkerung gegenüber den eigenen Medien nicht gerade in den Himmel wächst, wird sicher ein Faktor sein, der es begünstigt, dass deren Grundtenor in vielen Teilen der Bevölkerung nicht verfängt. Relevanter dürfte aber sein, dass der russische Präsident in seinem Auftreten und in seinen politischen Entscheidungen überzeugt.
Putin zwingt Syriens Regime zur Kooperation
Für die Wahl zum „mächtigsten Mann der Welt“ durch Forbes in diesem Jahr hat vor allem das Krisenmanagement Putins in der Syrienkrise nach dem Giftgasangriff auf Zivilisten östlich von Damaskus den Ausschlag gegeben. Nachdem der Westen zwei Jahre lang mehr oder minder untätig zugesehen hat, wie 120 000 Menschen in Kampfhandlungen getötet wurden und 2 Millionen ihre Heimat verloren, war vor allem US-Präsident Barack Obama in einer Situation, die im Falle eines Nichteingreifens einen Gesichtsverlust zur Folge gehabt hätte.
Mit dem Auftreten von Giftgas war eine Situation eingetreten, in welcher es für die USA und ihre Verbündeten nicht mehr möglich war, zuzuwarten. In den Tagen nach dem Zwischenfall galt ein Militärschlag als unausweichlich.
In dieser Situation gab Vladimir Putin mit nicht von der Hand zu weisenden Argumenten zu bedenken, dass die von Obama ins Auge gefasste Militäraktion in keiner Weise geeignet wäre, den Konflikt einer Lösung näherzubringen – zumal nach einem gewaltsamen Sturz Assads die Gefahr einer Ausweitung des Krieges auf die gesamte Region und ein Triumph terroristischer Kräfte rund um Al Qaida im Raum standen. Gleichzeitig machte er Assad klar, dass auch Russland ihn nicht mehr länger im Amt tolerieren könne, wenn er nicht von sich aus die Karten auf den Tisch legen würde.
Am Ende konnte ein westlicher Militärschlag mit unabsehbaren Folgen verhindert werden und die USA versuchen nun gemeinsam mit Russland, die Konfliktparteien zu einer diplomatischen Lösung zu zwingen. Mit seinen diplomatischen Interventionen hat Putin nicht zuletzt in den USA selbst diejenigen in ihrer Auffassung bestärkt, die Obama für ein außenpolitisches Leichtgewicht halten, und sich als führender Krisenmanager der Region in Szene gesetzt.
Aber Syrien ist nicht der einzige Grund, warum Gerald Warner im „Scotsman“ vom Juni 2013 eine Beobachtung zu Papier bringt, die wohl nur wenigen Menschen, die in der Lage sind, Stimmungen zu wittern und zwischen den Zeilen zu lesen, entgangen ist.
Entfremdung der politischen Klasse von der Bevölkerung im Westen
Menschen in Westeuropa und sogar in den USA fragen sich immer öfter, was in ihren Ländern falsch läuft. Politische Entscheidungen, aber auch Ereignisse des täglichen Lebens lassen in vielen einfachen Bürgern, die brav ihrer Arbeit nachgehen, gesetzestreu handeln und versuchen, ihre Kinder zu anständigen Menschen zu erziehen, den Eindruck aufkommen, irgendetwas hätte von ihrem Land und ihrer Lebenswelt Besitz ergriffen, das dazu führt, dass Werte nicht mehr zählen.
Ob es um die fehlende Wertschätzung für Soldaten oder Polizisten in der öffentlichen Meinung geht, ob hier in Deutschland Politiker Kindergartenkindern verbieten wollen, ihre religiösen Feste zu feiern, ob in der Schweiz von Staats wegen Vierjährige mit vulgärem und pornografischem Material zwangskonfrontiert werden sollen oder ob Begriffe wie „Vater“ und „Mutter“ von offiziellen Dokumenten verschwinden sollen: Die Überzeugung, es laufe im westlichen Kulturkreis irgendetwas fundamental verkehrt, macht sich bei immer mehr Menschen breit.
Der Eindruck, es wirke etwas Zerstörerisches, dem gegenüber man Ohnmacht empfindet und das unbändige Wut hervorruft, die sich nicht Luft machen kann, destabilisiert aber Gesellschaften, wenn nicht Kräfte dagegenwirken, denen man zutraut, diesem entgegenzuwirken.
Vladimir Putin gehört zu jenen Menschen, die glaubwürdig den Eindruck vermitteln, destruktiven und gefährlichen Entwicklungen entschlossen den Kampf ansagen zu können. Als er 2000 an die Spitze der Russischen Föderation trat, waren handlungsfähige staatliche Strukturen im Land so gut wie nicht mehr vorhanden.
Heute ist die Russische Föderation nicht nur politisch wieder als mächtiger Akteur auf die Weltbühne zurückgekehrt, auch wirtschaftlich profitiert das rohstoffreiche Land von seiner geografischen Größe, seiner Bedeutung im energiehungrigen Osteuropa und Asien, aber auch von der ideologischen Energiepolitik westeuropäischer Länder, die teuren und ineffizienten Ökostrom auf Kosten aller anderen Energieträger forcieren und dadurch umso stärker auf die Lieferungen aus Russland angewiesen sind.
Kalter Krieg mit vertauschten Rollen
Vor allem aber verkörpert der russische Präsident aus Sicht nicht weniger Beobachter auch im Westen als Person etwas, das andernorts unter den politischen Eliten vermisst wird.
Warner beginnt seinen Artikel „Neue Wahrnehmungen Putins“ wie folgt: „Ich hätte NIE gedacht, so etwas jemals zu erleben, aber mir fällt auf, dass ich mit Vladimir Putin öfter übereinstimme als mit irgendeinem westlichen politischen Führer…“ „Wir bräuchten einen Putin…“ – So sehen Gefühle aus, die mit steigender Frequenz im englischsprachigen Internet artikuliert werden.“
In den deutschsprachigen Ländern sieht es trotz der dort noch einseitigeren und qualitativ noch dürftigeren Medienlandschaft ähnlich aus. Gerald Warner schreibt, was auch hier nicht wenige Menschen abseits der veröffentlichten Meinung denken – nämlich, dass wir uns in Europa zunehmend in einer Situation des Kalten Krieges befinden, nur mit vertauschten Rollen.
„Diesmal ist es der Westen, der kulturellen Marxismus fördert, sowohl im eigenen Land als auch in neokolonialistischer Weise im Ausland“, schreibt der frühere Berater des britischen Schottland-Ministers Michael Forsyth aus der Zeit der Administration John Mayor. Er wirft westlichen politischen Führungspersönlichkeiten vor, von Freiheit zu reden, aber sich stärker als je zuvor ins Privatleben der Bürger einzumischen. Man rede von einer „Gleichheit“, von der die Russen längst genug hätten, weil sie bei diesem Begriff an die ZiL-Magistralen in Moskau denken müssen – Prachtstraßen, deren Benutzung den politischen Eliten vorbehalten war.
Warner beschrieb den Kontrast zwischen dem Westen und Russland als einen zwischen „Selbsthass, Kulturmasochismus, Selbstentvölkerung, Verachtung für die Familie und einem persönliche Verantwortung ersetzenden Hedonismus“ auf der einen und „einer kräftigen Nation mit starkem politischem Willen und kompromissloser Verfolgung nationaler Interessen“ auf der anderen Seite.
Aber nicht nur im Westen, auch in der islamischen Welt genießt der russische Präsident eine immer stärkere Wertschätzung – und das, obwohl etwa seine Position in der Syrienpolitik sich zum Teil fundamental von jener der Türkei oder der Golfemirate unterscheidet.
Respekt und Anerkennung für den Islam
Das hängt jedoch nicht zuletzt auch damit zusammen, dass Putin – ähnlich wie es auch US-amerikanische Präsidenten seit Generationen handhaben – um ein gutes Verhältnis zur islamischen Community im eigenen Land bemüht ist.
So ist es für den russischen Präsidenten selbstverständlich, eine persönliche Grußadresse an die russischen Muslime zum Opferfest zu richten. In jener von diesem Jahr bezeichnete er dieses als „wichtigen und untrennbaren Teil des reichen geistigen Erbes unseres multinationalen Volkes“ und pries den hohen moralischen Sinn sowie die Freude an der Festigung des Glaubens als kennzeichnend für das Fest. Das Opferfest sei eine Erinnerung daran, dass die islamischen Traditionen auf den ewigen Werten des Guten und der Gerechtigkeit, der Barmherzigkeit und der Sorge um den Nächsten beruhen, äußerte Putin.
Auch zum Tag der türkischen Republik kam das erste Grußwort des Staatschefs einer weltpolitischen Großmacht aus Moskau. Vor allem aber fand in der muslimischen Community der Auftritt des Präsidenten im Rahmen einer Festsitzung anlässlich des 225. Gründungstags der Zentralen geistlichen Verwaltung der Muslime in Russland vor zwei Wochen in der Stadt Ufa (Teilrepublik Baschkortostan) Beachtung, in welcher er die Rolle des Islam bei der Entwicklung der Gesellschaft in Russland würdigte.
„Priorität in der Tätigkeit moslemischer Organisationen soll kein Streit über die Hoheit, sondern die Herbeiführung des positiven Bildes des traditionellen Islam als einer wichtigen geistigen Komponente der allrussischen Identität sein“, betonte der russische Präsident bei dieser Gelegenheit. „Das wäre für die Erziehung der Jugendlichen, darunter der moslemischen, von großer Bedeutung. Leider sind junge Moslems seit langem zum wichtigsten Auditorium für unsere Gegner geworden.“ In diesem Zusammenhang rief Putin Massenmedien auf, traditionelle islamische Werte aktiver zu positionieren.
Delegitimierung der Terroristen durch Muslime selbst wirksamer als staatliche Repression
Während Vladimir Putin auf kompromisslose Weise den Terrorismus so genannter „Djihadisten“ in Tschetschenien bekämpft, nimmt er die islamische Community als solche gegen Anfeindungen durch Rechtsextreme in Schutz und möchte mit den muslimischen Gemeinden zusammen dem Terrorismus die ideelle Grundlage entziehen – auch in dieser Hinsicht erinnert seine Herangehensweise stark an jene des früheren US-Präsidenten George W. Bush.
Der Präsident sprach sich RIA Novosti zufolge auch für die Gründung öffentlicher religiöser rechtlicher Institute aus, die diesen oder jenen Text sachkundig bewerten würden. „Diese Strukturen sollten für moslemische Würdenträger sowie für Linguisten und Juristen offen sein… In diesem Fall wird die islamische Gemeinschaft Russlands selbst in der Lage sein, die Verbreitung destruktiver und extremistischer Literatur zu verhindern. Denn das staatliche Verbot radikalislamischer Literatur ist bei weitem nicht immer wirksam. Eher umgekehrt“, sagte Putin.
Auch der orthodoxe Patriarch von Moskau und ganz Russland, Kyrill gratulierte der „Stimme Russlands“ zufolge dem Vorsitzenden der Zentralen geistlichen Verwaltung der Muslime in Russland, dem obersten Mufti Talgat Tadschuddin, zum 225-jährigen Jubiläum dieser Organisation und bekräftigte seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit muslimischen Gemeinden in Sachen der Erhaltung moralischer Werte in der Gesellschaft.
Der Patriarch äußerte die Überzeugung, dass „die Bewahrung der in unserem Land historisch etablierten islamischen Traditionen und Bräuche, die Stärkung der Einheit der Muslime zur gegenseitigen Verständigung zwischen Menschen verschiedener Nationalitäten und Religionen beitragen werden“.
So klare Worte vermisst man von Deutschlands politischer Klasse, wo noch nicht einmal die Feststellung des früheren Präsidenten Christian Wulff, wonach der Islam zu Deutschland gehöre, von allen relevanten politischen Kräften akzeptiert wird.