Über die ersten Berührungen mit verschiedenen Kulturen möchte ich berichten. Meine Gefühle der Integration, wie auch Isolation beschreiben. Integration in die multikulturelle Gesellschaft forderte von mir selbst Offenheit, Toleranz, Zurückhaltung, Neugierde und Akzeptanz.
Das hört sich im ersten Moment recht schwierig an, aber als Deutsche geboren und an einem kleinen Ort im Sauerland aufgewachsen, kam ich mit der türkischen Kultur sehr früh in Berührung. Die ersten freundschaftlichen Bindungen knüpfte ich mit zwei türkischen Schwestern. Die Ehe mit einem Spanier, die langjährige Beziehung zu einem Türken und die Ehe mit einem Algerier, im Leben sollten noch folgen.
Rückblick auf das Jahr 1974
Zwei Mädchen im Alter von 12 und 14 Jahren, beide recht zierlich und klein, mit krausem lockigem Haar sitzen auf einer Bank einer Parkanlage und albern herum. Sie sprechen eine Sprache die ich nicht verstehe, lachen sehr herzhaft und schauen mich an. In mir kommt das Gefühl auf, das sie über mich sprechen, ich wende mich ab und möchte gehen. Kübra kommt auf mich zu und hält mich am Arm fest, fragt nach meinem Namen. Wir unterhalten uns über Gott und die Welt bis Ayşe auf die Uhr schaut und mitteilt, dass sie nach Hause zum Essen müssen. Sie laden mich ein, aber der Gedanke zu ihnen zu gehen macht mir Angst.
Zu oft habe ich türkische Erwachsene gesehen die einen strengen Blick hatten und sehr ernst schauten, wenn sie durch die Stadt gingen. Mein Bild war geprägt von Frauen die hinter den Männern her gingen und schwere Einkaufstüten von Aldi trugen. Die Männer, mit hinter dem Rücken gekreuzten Armen, spielten fast immer an kleinen Perlenketten.
Das herzliche Bitten der beiden und ihre herangehensweise wie sie ihre Arme um meine Taille schlungen, ließen keinen Widerspruch zu. Dies unterstützte meine Entscheidung doch mitzugehen. Sie wohnten nah an der Parkanlage in der wir uns begegnet waren.
An der Wohnungstür angekommen sah ich viele Paar Schuhe im Treppenhaus stehen.Ein für mich “ungewohntes” Bild, da ich in einem Eigenheim aufgewachsen bin, wo die Schuhe alle in einem Schuhregal standen. Sie baten mich meine Schuhe auszuziehen.
Die Mutter kam auf mich zu, näherte sich mir und küsste mich rechts und links auf die Wangen. Eine für mich “ungewohnte”, aber von der Empfindung her nette Geste. Das Wort “Ungewohnt” und meine Empfindung sollten mich von nun an durchs Leben begleiten.
“Anne” – so nennen die beiden ihre Mutter – begrüßte mich mit den Worten: „Hoşgeldiniz – soll heißen: „Herzlich willkommen bei uns, schön das du uns besuchst“. Ich bin verwundert,warum nennen die beiden ihre Mutter beim Vornamen. Erst später sollte ich erfahren das “Anne” Mama heißt.
Mein Blick wandert durchs Wohnzimmer. Alles sah so anders aus, als bei uns Zuhause. Im Wohnzimmer auf der Couch und in den Vitrinenschränken liegen gehäkelte weiße mit rosa umrandete runde und dreieckige Deckchen. Über dicke bunte ausgelegte Teppichware lagen nochmal bunte, mit orientalischen Motiven, geprägte Teppichläufer. Wir Frauen setzten uns in die Küche zum Essen, während der Vater im Wohnzimmer blieb was mich verwunderte. Die Mutter reichte mir vor dem Essen eine Flasche, mit nach Zitronen riechender Flüssigkeit, die ich in den Händen verreiben sollte. Der Duft war herrlich erfrischend. Von dem Essen ging ein unbekannter Duft aus. Die Mutter fragte mich, ob ich Knoblauch mag. Knoblauch hatte ich bisher noch nie gegessen, aber über türkische Mitschüler wurde immer gesagt sie seien „Knoblauchfresser“, deswegen würden sie immer so stinken. In mir kam Angst auf etwas zu essen. Was ist wenn ich danach „stinke“? Aber ich empfand es als unhöflich die Einladung abzulehnen. Später stellte ich fest, dass keiner in meiner Familie gerochen hatte das ich Knoblauch gegessen habe.
Die Frauen gaben mir das Gefühl dazu zu gehören, doch der Vater gab mir das Gefühl “Luft” zu sein, er würdigte mich keines Blickes und sprach mich auch nicht an. Grusslos verlaß er nach dem Essen die Wohnung. Bei mir kamen Zweifel auf, dass ich vielleicht etwas falsch gemacht hatte und unerwünscht war, deswegen fragte ich meine Freundinnen.
Sie lächelten nur und sagten mir, dass ihr Vater ein sehr “Lieber” sei, dass es bei ihnen aber nicht üblich sei, dass Frauen und Männer zusammen essen. Es sei durch den Glauben und Traditionen begründet. Ich wollte das Thema noch vertiefen, aber ein Blick auf die Uhr zeigte mir das es schon recht spät war und ich eigentlich schon zu Hause sein müßte. Von diesem Augenblick an begann eine Freundschaft die bis heute anhielt und mein Leben und meine Sichtweisen auf andere Kulturen, Religionen und Traditionen entscheident prägen sollte.
Die Namen der genannten Personen sind mit Rücksicht auf ihre Intimsphäre verändert. Alles andere entspricht der Realität.